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: Ganz spezielle Tektonik: Bücher über die Kontinentalverschiebung und andere Katastrophen

Der arme Alfred Wegener konnte nicht mehr erleben, wie seine Theorien zum Basiswissen der Plattentektoniker und Kontinentalverschiebungsexperten wurde. Im Jahr 1930 starb der schwer angefeindete Meteorologe, während sich seine Theorie Jahrzehnte später durchsetzte. Obwohl Wegener sogar mal auf Island die berühmte Allmännerschlucht im Thingvellir-Nationalpark entlangwanderte, also genau den Ort, wo sich Europa und Amerika jedes Jahr zentimeterweise voneinander entfernen – ereilte ihn seine Eingebung sonderbarerweise anderswo.

Den Wanderungen der Kontinente und der Bildung der Gebirge ist das mit vielen Zeichnungen und Abbildungen versehene Buch „Plattentektonik“ gewidmet. Es eignet sich gut als Nachschlagewerk, das den Weg vom Superkontinent Pangäa und seine Auflösung in diverse Einzelteile erläutert. Hier ist zu erfahren, dass Wegener – hätte er sich nur Ende der 20er-Jahre mit Professor Schwinner verständigt – die Drifttheorie mit der Antriebstheorie hätte vereinen und so die Plattentektonik hätte vorwegnehmen können. Das kann natürlich auch heißen, dass Wegener ein Kommunikationsdefizit hatte. Schließlich unterrichtete sein Kollege ebenfalls in Graz. Schön anzusehen sind der sogenannte Heiße Fleck unter Island und die roten und grünen Risse, an denen die Insel auseinanderdriftet. Leider erinnern die Abbildungen immer etwas an altbackene Schulbücher, so richtig frisch traut sich das deutsche Grafikwesen noch nicht an seriöse, wissenschaftliche Themen.

Deshalb wenden wir den Blick auf eine markante Folge der Plattenverschiebung, das Erdbeben. Der japanische Fotograf Ryuji Miyamoto hat die architektonischen Ergebnisse der Naturgewalt in Kobe von 1995 in wunderbaren Schwarzweißfotografien dokumentiert. Erschienen ist das Buch im Bearlin-Verlag des Designprofessors Akira Koyama, eines großen Berlin-Fans. Es geht hier tatsächlich um die Ästhetik, die der Naturkatastrophe folgt – schon Heinrich von Kleists „Erdbeben in Chili“ zeigt eindrücklich, wie Gesetze und Regeln außer Kraft gesetzt werden, wie Neues entsteht. Auch in Miyamotos Bilderbuch scheint die Katastrophe ihre eigene Ästhetik zu produzieren. Die Atmosphäre auf den Fotografien ist fein, kühl, fast sachlich. Aus Hochhäusern herausgebrochene Platten, zusammengepresste Reklametafeln, regelmäßig zerknitterte Jalousien und herabgefallene Stahlträger lassen eine andere Stadt hinter der Stadt sichtbar werden. Der in Kobe aufgewachsene Autor Koji Taki spricht von einer „invisible city“. Angesichts einer Naturkatastrophe und ihrer Folgen für die Architektur stellt er Fragen nach der planerischen und gestalterischen Destruktion, die einer Stadt oft gänzlich unbemerkt durch den Menschen widerfährt. Die gewaltsame Veränderung der Gebäude und des Stadtbilds öffnet Freiräume für neue Gedanken. Was zunächst zynisch klingt, ist aber durchaus optimistisch gemeint.

Von den natur- zu den menschengemachten Katastrophen. Diese hat der Schweizer Polizeibeamte Arnold Odermatt in jahrelanger Arbeit akribisch dokumentiert: bizarre Autounfälle, wunderschöne Hausbrände in malerischer Umgebung und die braven Kollegen, konzentriert bei der Arbeit – gedacht ursprünglich als Nachwuchswerbung. Arnolds Sohn, der Künstler Urs Odermatt, erkannte das genial dilettantische Talent seines gewissenhaften Vaters, die Ästhetik der vergangenen Zeit und machte einen Kunststar aus ihm. Nach seiner Pensionierung konnte er so in die Kunstwelt integriert werden: hier beispielsweise als schweres, großformatiges Tablebook. WOLFGANG MÜLLER

Wolfgang Frisch, Martin Meschede: „Plattentektonik“. Primus, Darmstadt 2005, 196 Seiten, 39,90 Euro Ryuji Miyamoto: „Kobe 1995: The Earthquake Revisited“. Bearlin, Tokio 2006, 88 Seiten. Bestellung über: www.bearlin.com Arnold Odermatt: „Im Dienst“. Steidl Verlag, Göttingen 2006, 336 Seiten, 65 Euro