gottschalk sagt
: Wenn ich Rudolf Scharping wär‘

CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz

Aus der Frühzeit des Radsports gibt es Anekdoten, in denen der führende Fahrer ein Päuschen einlegt und nach dem Genuss einer Flasche Wein einschläft, bis das Feld an ihm vorüber gefahren ist. In einer anderen Geschichte fährt der Held nach einem Nickerchen leicht desorientiert in die falsche Richtung weiter. Irgendwie süß. Über 200 Kilometer einen fünfziger Schnitt zu fahren, ist dagegen gar nicht süß, sondern in höchstem Maße unheimlich.

Wahrscheinlich bin ich der Letzte, dem es aufgefallen ist, aber egal: Wie heißt der Anwalt, der Jan Ullrich bis vorgestern vertreten hat? Peter-Michael Diestel. War das nicht der Ostler mit den Autobahnraststätten? Nein, das war Günter Krause. Diestel war der Ostler mit der günstigen Villa. Heute arbeitet er als Anwalt. Seine Marktlücke: Leute vertreten, die keiner mehr mag. Korrupte Leute. Und zwar meistens genau die zweite Reihe. Eigentlich eine super Idee. Im Hartz-Skandal vertritt er nicht Peter Hartz, sondern den VW-Betriebsratschef, im Hoyzer-Skandal nicht Hoyzer, sondern einen anderen Schiedsrichter.

Bis vorgestern vertrat er Jan Ullrich, der immer so traurig und trotzig guckt, dass er einem schon leid tut. Früher habe ich ihn schon immer wegen der aufgeplatzten Lippen bemitleidet. Und wenn nach dem armen Ullrich dann noch Rudolf Scharping im Fernsehen auftritt, wird mir ganz anders, kommt es einem doch vor wie das Defilée der Gescheiterten. Er wollte mal das Land regieren, jetzt ist er Chef vom Radsportverband. Das ist so, als würde Günter Jauch bei Home-Shopping-Europe Puppen verkaufen.

Aber was soll‘s. Wie der Kölner sagt: Denen tut doch nix mehr weh, wobei ich mir bei Ullrich da nicht so sicher wäre, der Blick hat schon etwas sehr Gequältes. An Scharpings Stelle dagegen hätte ich mir schon lange „Privatier“ auf meine Visitenkarte drucken lassen und würde mit seidenem Einstecktuch im Designerhemd auf meiner bescheidenen Yacht Gäste aus Kultur und Wirtschaft empfangen. Zum Zeichen, dass ich ein absolut unseriöser Hallodri bin, trüge ich natürlich weiße Slipper. Regelmäßig hätte ich Leute aus der „Was-macht-eigentlich“-Rubrik des Stern zu Gast, ledergesichtige Ex-Schlagerstars, Leute wie Peter Bond oder Werner Schulze-Erdel, aber auch Journalistenlegende Michael Born (Kultur) oder Kaufhaus-Erpresser Arno Funke (Wirtschaft) fänden bei mir stets ein offenes Ohr, liebevoll zubereitete Schnittchen und einen kräftigen Roten. Ab und zu würde ich, wäre ich Scharping, etwas sagen wie: „Bundeskanzler?! Wissen Sie, wie viel Arbeit das ist, ich muss verrückt gewesen sein!“ – um dann angeregt mit Nacktsängerin Jazmin über Musik zu diskutieren, bis mir der hübsche Herr Hoyzer dazwischen funkt.

Egal, dann erzähle ich dem armen traurigen Jan halt nochmal die ein oder andere Anekdote aus der Frühzeit des Radsports, während mein Boot majestätisch den Dortmund-Ems Kanal entlang gleitet.