Diskussionslos für Rot-Grün

SPD und Grüne in Bremen stimmen beide fast einstimmig und ohne Diskussion für rot-grüne Koalitionsverhandlungen – obwohl die SPD vor der Wahl jede Koalitionsaussage abgelehnt hatte. Inhaltliche Vorgaben machen die Delegierten keine

Kommissionen von SPD und Grünen in Bremen verhandeln ab Mittwoch und voraussichtlich im Zwei-Tages-Rhythmus über einen möglichen Koalitionsvertrag. Auf der Tagesordnung steht zunächst das Themenfeld Finanzen. Für den Fall, dass man sich nicht einige, gebe es „noch keine verhandlungstaktischen Varianten“, heißt es bei der SPD. Parteitage müssen dem Vertrag abschließend zustimmen. Die Bremische Bürgerschaft muss sich spätestens am 7. Juli neu konstituieren. Der rot-schwarze Senat bleibt gegebenenfalls zunächst kommissarisch im Amt. Scheitern die Koalitionsverhandlungen, besteht die CDU auf Neuwahlen. SIM

VOM BREMER SPD-PARTEITAG KLAUS WOLSCHNER

Zwölf Jahre lang hat die Bremer SPD treu zur großen Koalition von Henning Scherf gestanden – gerade zwei Stunden brauchte der Landesparteitag am Donnerstag Abend, um voll auf Rot-Grün umzustellen. Die Sache schien so klar, dass es nicht einmal eine Debatte gab, weder über die Gründe des Koalitionswechsels noch über Probleme bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen – die Delegierten vertrauen offensichtlich voll dem Führungsteam um Uwe Beckmeyer, dem Landesvorsitzenden, und Jens Böhrnsen, dem Bürgermeister. „Das ist der Beginn einer Jens-Böhrnsen-Ära“, rief Beckmeyer in den Saal und erntete begeisterten Beifall. Nein, nicht die Ära von Jens Böhrnsen, sondern eine „Ära mit Jens Böhrnsen“, korrigierte ein Delegierter.

Böhrnsen hatte im Wahlkampf immer erklärt, er sei in der Koalitionsfrage offen. Nachdem die Weichen schon am vergangenen Sonntag im Landesvorstand klar gestellt worden waren, klang das auf dem Landesparteitag schon anders. „Jede Koalition hat ein natürliches Ende“, sagte Böhrnsen, und nach zwölf Jahren brauche eine große Koalition eine „ganz besondere Begründung“. Die Zeit des Geldausgebens sei vorbei, aber auch die Zeit des überdurchschnittlichen Sparens im Sozialbereich. Ein „weiter so wie bisher“ könne es daher nicht geben. Die CDU sei dieser Aufgabe nicht gewachsen, mit den Grünen gebe es viele Gemeinsamkeiten. Die Entscheidung sei gefallen. 191 der 193 Delegierten folgten der entsprechenden Empfehlung des Landesvorstands.

Bei der Vorstellung seiner Schwerpunkte klammerte Böhrnsen mögliche Streitpunkte aus. Die Häfen seien ein Jobmotor und ihre Erreichbarkeit berühre den Lebensnerv Bremens, sagte er. Die Frage, wie viele Schiffe zum geplanten Jade-Weser-Port umgeleitet werden müssen, wenn es bei der bisherigen Flusstiefe bleibt, schnitt Böhrnsen nicht an. Auch nicht das von dem regionalen Energieversorger SWB geplante riesige Kohlekraftwerk, das den CO2-Ausstoß Bremens fast um die Hälfte steigern würde.

Die neue Landesregierung müsse alles tun, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken, sagte Böhrnsen, immerhin lebten von 660.000 Bremer Bürgern 100.000 in Bedarfsgemeinschaften von Hartz IV und Sozialgeld. „Die Menschen müssen mit der SPD die Hoffnung verbinden, dass sich die eigenen Lebensbedingungen verbessern“, sagte Böhrnsen.

In seiner kämpferischen Rede präsentierte sich der Bürgermeister als einer, der dem Parteitag aus der sozialdemokratischen Seele zu sprechen weiß – nach zwei Stunden konnten die Delegierten zufrieden nach Hause gehen.

VOM BREMER GRÜNEN-PARTEITAG ARMIN SIMON

Eine Gegenstimme, eine Enthaltung – und 191 Stimmen für Rot-Grün. Ein Raunen geht durch den Saal, die Landesmitgliederversammlung der Bremer Grünen klatscht. Es ist Beifall für die SPD. Die hatte, das war die Nachricht, fast einstimmig für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Grünen gestimmt.

Die wollten da nicht nachstehen: 161 von 164 Anwesenden stimmten mit Ja, ein einziger dagegen: Eine zehnköpfige Kommission aus Partei und Fraktion soll ab Mittwoch mit der SPD über ein Regierungsprogramm verhandeln (siehe Kasten). Mitverhandeln soll unter anderem die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck sowie der „für ein Senatsressort vorgeschlagene“ nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete und Umweltpolitiker Reinhard Loske. Der pries auf seinem ersten Auftritt in Bremen die ihn reizenden „Gestaltungsmöglichkeiten“. „Rot-grün 2.0“ in Bremen könne „ein echter Neuanfang sein, der ausstrahlt auf andere“, sagte er.

Spitzenkandidatin Karoline Linnert warnte die Partei vor überzogenen Erwartungen an die Koalitionsverhandlungen. „Das Schließen von Kompromissen ist etwas Normales in einer Demokratie“, sagte sie, der Koalitionsvertrag selbst sei „nur der Beginn“ einer vierjährigen Auseinandersetzung mit den Vorstellungen des Partners. Mit dem wolle man „in einem Klima der gegenseitigen Wertschätzung“ ringen, „inhaltsleere Deals wie im Kindergarten der Großen Koalition“ werde es nicht geben. Ziel sei eine Politik der ökologischen und sozialen Verantwortung, finanziell „seriös“. In vier Jahren, visionierte Linnert, „macht hier jedes Kind einen Schulabschluss“.

Inhaltliche Plädoyers für das auszuhandelnde Programm gab es nur wenige – und fast nur aus der Generation der Ampel-Koalition, die Bremen von 1991 bis 1995 regierte. Die Grünen müssten in der Regierung „Verantwortung für Umwelt und Energie übernehmen“, warb etwa der erneut in die Bürgerschaft gewählte Abgeordnete Hermann Kuhn. Als Votum gegen grüne Finanz- und BildungssenatorInnen wollte er dies aber nicht verstanden wissen. Abstimmungsberechtigt im Senat seien schließlich nicht sieben, sondern – inklusive einer in Berlin sitzenden „Staatsrätin de luxe“ – acht Personen. Den Grünen stünden daher mehr als nur zwei Sitze zu.

Wer auf einem dritten gegebenenfalls Platz nehmen könnte, machte Kuhns Lebensgefährtin, die Europaabgeordnete und einstige Kultursenatorin Helga Trüpel deutlich: „Sprecht nicht so abschätzig: ‚Mit dem Ampelpersonal kann man nichts machen‘“, forderte sie.