Die kleine Welt der Frauen in Bagdad

In der irakischen Hauptstadt beschränkt sich der Kontakt mit Freunden aufs Internet und das Handy. Die jüngste Offensive hat eine leichte Verbesserung der Sicherheitslage gebracht. Im Leben der jungen Hauptstädterinnen hat sich aber nichts geändert

AUS BAGDAD INGA ROGG

In Bagdad hat die schönste Jahreszeit begonnen. Es ist frühsommerlich warm, aber noch nicht heiß. Normalerweise würde sich jetzt das Tigrisufer mit Familien beim Fischessen oder beim Picknick füllen, Alt und Jung könnte man an der bekannten Arasatstraße flanieren sehen.

Ausgehen, ein Stadtbummel? Ghaida entlockt der Gedanke einen tiefen Seufzer. Sie weiß schon gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal ausgegangen ist. Ganze zweimal hat sie sich im vergangenen Jahr mit Freundinnen getroffen, das letzte Mal liegt nun schon mehr als vier Monate zurück. „Job, nach Hause, das ist mein ganzes Leben“, sagt Ghaida. Die Welt der 25-jährigen Schiitin ist klein geworden. Am Morgen geht sie in die fünf Minuten zu Fuß entfernte Apotheke, in der sie als Gehilfin arbeitet, und am Abend kehrt sie schnurstracks nach Hause zurück. Ghaida hat Englisch studiert und würde gerne als Dolmetscherin arbeiten. „Am liebsten im Außenministerium, dann wäre ich ein VIP“, sagt sie mit einem hellen Lacher.

Nicht nur bei der Arbeit hat Ghaida keine Wahl. Sobald sie das Haus verlässt, trägt sie mittlerweile ein Kopftuch, was ihr zutiefst zuwider ist. Manchen Fundamentalisten reicht das immer noch nicht, immer wieder bekomme sie zu hören, dass sie sich ganz verhüllen soll. „Das geht sie doch nichts an“, sagt Ghaida zornig. „Das ist meine Privatsache.“

Obwohl Ghaida und ihre Familie in einem gemischten Quartier in der Palästinastraße im nördlichen Zentrum von Bagdad wohnt, das als relativ sicher gilt, könnte der Besuch einer Ausländerin die Familie in den Augen der Extremisten zu Spitzeln stempeln. Deshalb verabreden wir uns am Telefon, so wie es heute die meisten Frauen in Bagdad tun.

Zwar sind die Irakerinnen nicht vollständig aus der Öffentlichkeit verschwunden, und man kann sogar gelegentlich noch Autofahrerinnen sehen. Doch die Straßen der Hauptstadt gehören heute eindeutig den Männern. Für junge Frauen wie Ghaida sind Handy und Internetzugang mittlerweile zur Lebensader geworden, ohne sie wäre sie längst vereinsamt. „Handys sind großartig“, sagt Ghaida. „So kann ich zumindest mit meinen besten Freunden Kontakt halten.“

Für die Studentin Farah ist das Internet sogar der einzige Weg, wie sie ihre Ausbildung fortsetzen kann. Die 24-jährige Sunnitin wohnt im Stadtteil Saidija im Süden von Bagdad. Um zur Kunsthochschule zu gelangen, wo sie Theaterwissenschaften studiert, muss sie quer durch die Stadt fahren. Schon zweimal wurden in diesem Jahr in der nahen Mustansirija-Universität Dutzende Studenten bei Anschlägen von Selbstmordattentätern getötet.

Doch nicht nur der Weg zur Hochschule ist gefährlich, als Sunnitin riskiere sie auch, von den meist schiitischen Wächtern beschimpft zu werden. Deshalb geht sie nur noch selten zur Universität. Die Recherchen für ihre Abschlussarbeit macht sie im Internet, sofern es Strom gibt und die Leitung funktioniert.

„Eigentlich ist mein Studium pure Zeitvergeudung“, sagt Farah. „Für uns Frauen ist das Leben hier die Hölle. Du darfst dich nicht kleiden, wie du willst, kannst nicht sprechen, mit wem du willst.“

Wie die Schiitin Ghaida trägt auch die Sunnitin Farah gegen ihre innerste Überzeugung mittlerweile ein Kopftuch. „Selbst meine Mutter, die sich nie verhüllt hat, kann ohne es nicht mehr aus dem Haus.“ Kann Ghaida in ihrem Quartier zumindest noch shoppen gehen, ist Farah selbst das versagt. Saidiya ist eine Hochburg von sunnitischen Extremisten. Theateraufführungen gibt es heute in Bagdad allenfalls noch im Geheimen. Die einzige Abwechslung in Fahras tristem Alltag ist der gelegentliche Besuch im letzten noch verbliebenen Schönheitssalon in ihrem Quartier. „Wenn meine Eltern oder mein Bruder das mitkriegen, gibt es jedes Mal Krach“, sagt Farah. „Aber das ist mir egal. Ich lasse mir nicht alles verbieten, es ist schließlich mein Leben.“