EIN INSPIRATIONSSCHUB
: Leere Seiten

Ich zähle. Zehn Seiten, geschrieben in Nullkommanichts!

Ich lese viel, aber erst heute fällt mir was auf: Die Bücher, die ich so lese, beginnen nicht auf Seite eins. „11“ steht bei dem, das ich gerade anfange, ganz vorne beim ersten Kapitel. Ich staune. Wo sind die anderen zehn? Hat die wer rausgerupft? Könnte ja sein, denn die Bücher, die ich so lese, sind aus der Bibliothek. Und weil sie das sind, kann alles mögliche mit denen sein: Unter- und Anstreichungen, Fettflecken, Eselsohren – oder eben fehlende Seiten. Ich schaue, blättere, doch das Buch ist so gut wie neu. Niemand hat was rausgerupft; trotzdem „11“ statt „1“ ganz vorn. Ich blättere noch mehr, zähle Papier – stimmt schon, davor gibt’s zehn andere Seiten, aber viel steht da nicht drauf auf denen: mal der Titel, mal ’n Zitat, mal der Verlag.

Ich leg das Buch weg, blättere andere durch. Seite neun, Seite sieben und dann der Rekord: das erste Wort auf Seite fünfzehn. Fünfzehn! Vierzehn Seiten, die zählen, obwohl sie leer sind, oder fast. Ich überlege, was das heißt, aber lang dauert das nicht. Ist klar: Es heißt, ich krieg mein Pensum heute doch noch hin, mein Schreibpensum des Buches, das ich gerade verfasse.

Ich nehme das Rekordbuch noch mal zur Hand, zur Inspiration. Umschlag, leere Seite, Name Verlag, leere Seite, Name Autor und Titel, leere Seite – genau so mache ich’s auch. Dann Widmung und drei leere Seiten auf einmal, warum nicht, erhöht die Spannung immens. Ich zähle. Zehn Seiten, geschrieben in Nullkommanichts! Klasse! Damit habe ich das Rückwärtsschreiben von gestern glatt wieder drin. Gestern Abend hatte ich acht Seiten weniger als gestern früh; meine Freundin hat ganz schön gemeckert. „Wo sind die hin?“, wollte sie wissen. „Schreib gefälligst nach vorne!“

Ich ruf sie gleich an. „Rat mal, wie viele Seiten ich hab!“ „Mehr als gestern, richtig?“, sagt sie. „So, wie du klingst.“ „Richtig“, sag ich. „Hatte einen Inspirationsschub. Zehn Seiten, zack wumms! Ist das nicht toll?“ JOEY JUSCHKA