Je lauter, desto besser

betr.: „Freischwimmer in Integration. Im ‚Koordinierungsrat für Muslime‘ fehlen die engagierten muslimischen Frauen“, Das Schlagloch von Hilal Sezgin, taz vom 18. 4. 07

Mit Vergnügen habe ich als Betroffener den Artikel von Hilal Sezgin gelesen: Schwimmen lernen im Marmarameer, das ist schon was, da hat sie mir etwas voraus.

Mit 15 kam ich 1968 aus Anatolien nach Deutschland? beim Alter hatten meine Eltern wohl etwas geschummelt. Deutschland brauchte schließlich Arbeiter im Bergbau, und für Arbeit gab es Kohle, Pardon D-Mark, die zu Hause dringend gebraucht wurde. Ich habe mich dann integrativ hochgearbeitet: anfänglich als Knappe unter Tage im Ruhrgebiet, über Tage dann Deutsch gelernt, einen Schulabschluss gemacht und Architektur studiert. Ich fand einen dieser vernünftigen und netten Männer, von denen auch Hilal Sezgin schreibt, die sich mit ihrer Frau väterlich und mütterlich meiner annahmen und mich jahrzehntelang auf meinem – gelegentlich steinigen – Weg immer wieder motivierend begleiteten. Seit 28 Jahren arbeite ich inzwischen als Architekt, habe die deutsche Staatsbürgerschaft, bin mit einer Italienerin verheirat und habe eine Tochter und einen Sohn. Bin ich deshalb ein Deutscher? Für die Deutschen?

Meine Kinder jedenfalls sahen das, als sie noch klein waren, anders, und die kleine Episode passt wunderbar zu Schwimmunterricht, Burka und Bikini im Büro: Selbst beim gemeinsamen Baden in der Badewanne habe ich mir immer eine Badehose angezogen. Eines Tages sagte meine Tochter, damals wohl 5: „Papa, ihr Türken und die Italiener schämen sich, aber wir Deutschen nicht.“ Ist Integration also ein Generationenproblem?

Das Aufgehen ehemaliger Zuwandererfamilien, zum Beispiel aus Polen in den Bergbau, spricht zunächst dafür. Man muss sich nur die Namen der 54er Fußballweltmeister einmal näher ansehen. Aber ihre religiöse Ausgangssituation war ungleich besser als die der Muslime – sie waren katholisch. Seit die Inquisition die jahrhundertelange friedliche Koexistenz unter muslimischer Vorherrschaft (sic!) in Spanien beendet hat, ist mir kein Modell bekannt, in dem unter christlicher Vorherrschaft eine Koexistenz mit Andersgläubigen nachhaltig funktioniert hätte. Nathan der Weise war Jude, und Juden zahlten in Robin Hood das Lösegeld für Richard Löwenherz in der Hoffnung, sich damit Koexistenz zu sichern – Wahrheit oder Fiktion? Auf jeden Fall ein Hinweis: Integration erfordert offenbar aktives Bemühen und einen langen Atem – von den andersgläubig Zugewanderten. Integration wird häufig mit Aufgabe der Identität verwechselt und leider allzu selten mit Koexistenz und Toleranz verbunden.

„Wir sind doch noch eine liberale Gesellschaft, oder? Noch? Oder künftig? Immerhin ist die Gesellschaft, in der wir leben, so liberal, uns unser Integrationsbemühen zu gestatten und es zu kanalisieren – man muss die Tore ja nicht gleich von selbst weit aufmachen. Und im Übrigen gibt es für die Christen in der Türkei ja auch keine Kirchen, zumindest keine neuen. Dabei sind es inzwischen in Deutschland gerade die christlichen Kirchen, die Bestrebungen eigener muslimischer Gotteshäuser unterstützen.

In der Parteiendemokratie, in der wir leben, gilt das Sprichwort nicht: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Nur wer den Mund aufmacht, den hört man, und je lauter, desto besser. Die Hürde für die Vertretung in den Parlamenten liegt nicht bei fünf Prozent der Wahlberechtigten, sondern der Wähler. Die Nichtwähler sind im System nicht vorgesehen – selbst wenn sie in der Mehrheit sein sollten. Auch die APO hat historisch daraus den Schluss gezogen, dass man im System nur etwas gewaltfrei ändern kann, wenn man sich des Systems bedient. Und das wird auch den unorthodoxen Muslimen und Musliminnen nicht erspart bleiben. N. DOGAN, Heidenheim