Ich bin kein Denkmal

SCHAUSPIEL KÖLN: Respektvoller Zugriff: „Keiner weiß mehr“ nach dem Roman von Rolf Dieter Brinkmann

Die drei Schauspieler dieses Abends, zwei Männer, eine Frau, betreten von der Bühnenseite die Spielfläche. Sie wirken forsch, hell. Nur dieser eine nicht: Christoph Luser spielt den namenlosen Protagonisten aus Rolf Dieter Brinkmanns einzigem Roman „Keiner weiß mehr“, erschienen 1968, für Brinkmann der Durchbruch als Autor. Bevor der Abend überhaupt beginnt, sieht Luser schon völlig fertig aus. Dabei allerdings verdammt gut – klar, wir reden von Beat, Mode und Pop, wenn es um Brinkmann geht.

Lusers sanfte, fast verschwurbelte Art zu sprechen, erstaunt. Ja, 1968 funktionierte cool sicher anders als heute. Und Brinkmanns frustriert-wütender „Er“ zeigt sich im Text ja durchaus zur Zärtlichkeit fähig, wenn auch sehr selten; eine empfindliche Seele ist er allemal. Die nachdenklich-sensible, den diskussionsfreudigen Subjektivismus der Zeit aufgreifende Sprechweise ist jedenfalls eine plausible Perspektive. Die Jetzt-Klamotten, die sie anfangs getragen haben, haben die Schauspieler zuvor noch auf offener Bühne eingetauscht gegen ebenfalls modische der Zeit; die Hose ist jetzt nicht mehr Röhre, sondern hat unten Schlag. Und bevor das Hinübergehen in die Figur ganz abgeschlossen ist, liest der Dritte im Bunde (Orlando Klaus) noch laut den Titel aus der Kiepenheuer-&-Witsch-Originalausgabe des Romans vor.

Die gesamte Eröffnungsszene in der Schlosserei des Kölner Schauspiels zeigt, wie der junge Regisseur Stefan Nagel, bislang Assistent am Haus, an diese Uraufführung herangeht: respektvoll dem Text gegenüber. Das ist nicht unbedingt von Nachteil. Denn Nagel erweist sich als durchaus versierter Handwerker. Vor allem aber hat er gute, hervorragende Darsteller. Eine große Sache, wie Martin Wuttkes Kölner Uraufführung von Brinkmanns Tagebuchkonvolut „Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand“ 2007, kann auf diese Weise daraus aber nicht werden.

Nagel lässt den Roman im Grunde linear durchspielen: Beobachtungen des hasserfüllt durch ein tristes Köln wandernden Protagonisten – die der Regisseur allerdings entschärft, weil ihn die grüblerische, um Zärtlichkeit und Liebe ringende Seite der Figur mehr interessiert als die gegen die saturierten Verhältnisse gerichtete; drastische Schilderungen des obsessiven, manisch aufs Biologische reduzierte sexuelle Verhältnis zu seiner Frau; kurze Reisen, Treffen und Gespräche; Ehestreits.

Der Abend bringt einem diese radikal trostlose Figur sehr nahe. Andererseits enthält er einen Schuss Kunstgewerbe. Die Videos, die Nagel zwischen den Kapiteln zeigt, sind ästhetisch und inhaltlich dünn. Ein paar schwarz-weiße Doku-Kölnbilder tauchen auf. Nur zweimal wählt Nagel besondere Bühnenmittel. Die drei Darsteller spielen auf einem schwarzen Laufband, wie das getriebene Ich durch die Waren- und Bilderwelt Hannovers rennt: der postmoderne rasende Stillstand, als den „Er“ die Wirklichkeit in seinem ununterbrochenen Bewusstseinsstrom erlebt. Sie geraten außer Atem, weil sie dem Text hinterherhecheln, der vor ihnen auf der Wand von oben nach unten abläuft. Die Getriebenheit überträgt sich in den Saal, aber gleichzeitig hat es etwas Albernes, wie die drei da auf dem Band dieses Laufen eins zu eins vorspielen. Am Ende bleibt es dabei, einem liebevollen, beinahe unschuldigen Brinkmann ein Denkmal zu setzen. Nur ist das doch etwas wenig bei einem Autor, der jedes Denkmal mit Füßen getreten hat.