KONSEQUENT & INKONSEQUENT
: Ein wenig Überraschung

Nils Schuhmacher

Als konsequent wird gemeinhin ein folgerichtiges, irgendwie vielleicht auch getriebenes Handeln verstanden. Wer das in der Popmusik erwartet, dem kann oft gesagt werden: Du hast Visionen und musst nicht in den Plattenladen, sondern zum Arzt. In jedem Fall sollte man sich auf großformatige Enttäuschungen einstellen, wenn man Konsequentes erwartet, das auch noch gelungen ist (man kann ja schließlich auch konsequent ideenlos sein oder konsequent daneben liegen).

Die Gefahr der Enttäuschung ist nicht unbedingt geringer geworden. Revolverheld etwa fordern auf ihrer neuesten Single auf: „Lass uns gehen“ – im November erzeugen sie aber eine Art Omnipräsenz im ganzen Land. Jethro Tull haben sich aufgelöst – aber Martin Barre deklariert die Songs als sein Eigentum und spielt sie unter eigenem Namen weiter (Mo, 3. 11., 20 Uhr, Fabrik). Marcus Wiebusch indes lege, so die Lyrik-Abteilung seines Labels, ein „Zeitdokument“ vor, das „Grenzen sprengt und kraftvoll seiner originären Inspiration folgt. Mit Haltung, Achtung und großer Hingabe an Musik, Arrangements und Texte, die man so in Deutschland noch nicht gehört hat“ (Mi, 29. 10., 20 Uhr, Markthalle). Man muss sich aber schon anstrengen, etwas anderes herauszuhören als die etwas handzahme und hinlänglich bekannte Musik seiner Band Kettcar. Hier wäre man dann bei einem Fall angelangt, bei dem sich fragen lässt, ob nun ein Mangel oder das Vorhandensein von Konsequenz vorliegt.

Daran anschließend nun endlich zu KandidatInnen, die den Begriff Konsequenz auf offensichtlich ganz andere Weise durchbuchstabieren. Die holländischen The Ex etwa bewegen sich seit über 30 Jahren wie ein Chamäleon durch die allgemeinen Aufgeregtheiten und Regressionen. Einst waren sie im Verbund mit Chumbawamba die großen Lieblinge der europäischen Hausbesetzer, der linken Künstler, der anarchistischen Avantgardisten. Heute sind sie als ein sicheres Zeichen dafür zu werten, dass nach dem Ende der großen Träume nicht jede Idee von Subversion zerplatzt ist. Auf den mittlerweile 22 LPs gibt es jedenfalls immer mal wieder Überraschendes (und zuweilen Unhörbares) zu entdecken. The Ex empfehlen sich auf ihnen als inhaltlich klar konturiertes, musikalisch aber außerordentlich schwer einzuordnendes Kollektiv, das Noise, Jazz, Impro- und World-Musik in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen zusammenträgt, mit Gitarren durchzieht und auf eine solide rhythmische Basis stellt. Durchaus naheliegend, in diesem Zusammenhang stets die Kollaboration mit diversen anderen KünstlerInnen zu suchen (Mo, 27. 10., 20.30 Uhr, Hafenklang).

Mary Ocher war allerdings noch nicht darunter. Die in Russland geborene, in Israel aufgewachsene und nunmehr in Berlin angesiedelte Künstlerin würde sich auf den ersten Blick auch nicht ohne Weiteres einfügen; geht es bei ihr doch eher postmodern zu und besteht die latente Gefahr, das zwischen Freak- und Hipstertum angesiedelte Erscheinungsbild für den Kern ihrer Positionierung zu halten. Dieser aus Cindy Lauper, Nina Hagen und Ziggy Stardust zusammengesetzte „ungeschliffene Rohdiamant der Andersartigkeit“ (Plattentests.de) ist damit aber nicht erschöpfend erfasst. In der aktuellsten Veröffentlichung aus 2013 werden auf der Basis von Gitarre und Miniverstärker, Piano und irgendwelchen Kleinstinstrumenten minimalistisch eingedampfte Blues- und Gipsy-Folk-Derivate präsentiert und mit textlichen Streifzügen durch prekarisierte Lohnarbeit, Selbstverwertung und heteronormative Lebensrealitäten ergänzt. Eher überraschend als enttäuschend (Fr, 7. 11., 20 Uhr, Golden Pudel Club).