DAS DING, DAS KOMMT: Gefalzte Ecken
ESELSOHREN sind mehr als papierne Gedächtnisstützen, sie verraten auch ein wenig über unser Gemüt
Gefalzte Ecken können etwas über den Gemütszustand, wenn nicht gar über den Charakter des Lesers oder der Leserin verraten. Ist es doch schon eine Typfrage, ob nonchalant die halbe Buchseite umgeschlagen und schwungvoll glattgestrichen oder abkribisch eine kaum sichtbare Miniecke in die Buchseite geknickt wird, um möglichst keine Spuren zu hinterlassen. Und für manch einen ist es schlicht ungehörig, eine Buchseite umzuknicken, um sich die Stelle zu merken, an der man später weiterlesen möchte – macht man doch nicht! Verhunzt doch das ganze Buch!
Dabei ist so ein Eselsohr selbst schon zu einer Art Kulturgut geworden. Naja, ein bisschen jedenfalls. So findet es etwa im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm als „folium libri complicatum“ Erwähnung und wird dort definiert als „merkzeichen im gelesenen buch durch einbiegen einer blattecke: darum, welcher mit mir daran ist, der mache ein eselohr“. Das ist nämlich eines der guten Dinge an so einem Knick; lesen mehrere Leute im selben Buch oder der selben Zeitung, erkennt jeder seine Stelle am Knick gleich wieder. Außerden rutscht so ein Eselsohr, das Fugen-s hat sich im Laufe der Zeit ins Wort geschlichen, nicht heraus, wenn man das Buch, das Magazin oder die Zeitung in die Tasche steckt.
Die gefalzte Ecke als Gedächtnisstütze gehört so sehr zum Lesen dazu, dass sie den Sprung vom Papier- ins elektronische Buch geschafft hat. Bei vielen E-Book-Readern klickt man einfach auf dem Bildschirm oben rechts in die Ecke und schon erscheint das kleine Lesezeichendreieck. Eselsohr ist übrigens auch eines der recht seltenen Dreifach-Teekesselchen. Das eine Teekesselchen ist flauschig, das andere wächst im Wald und das dritte hilft dabei, etwas wiederzufinden. Na?
Um die Flauschohren eines Esels oder den orangefarbenen Speisepilz mit Namen Eselsohr, der vor allem in Nordamerika zu finden ist, geht es an diesem Wochenende nicht, aber um Letzteres führt bei den sechsten Antiquarischen Büchertagen im Altonaer Museum wenig vorbei, wird sich doch schwerlich ein antiquarisches Buch finden lassen, das ganz ohne geknickte Ecke geblieben ist. Knapp 20 Antiquariate aus dem norddeutschen Raum werden vertreten sein und schöne und rare Bücher zur Stadt- und Kulturgeschichte Altonas, zu Architektur und Denkmälern oder Reisen und Landeskunde anbieten. ILK
■ Sa, 25.10. und So, 26.10., Altonaer Museum, Museumsstraße 23, Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen