Einmal noch: Frage aus Spandau
Und wann wirst du erwachsen, fragte mich die Alleinerziehende im Einkaufszentrum. Irritierende Lichter ringsum, aber sterile Geschäfte. Ihr Sohn wog schwer. Aber er war still und glotzte ins Nichts. Es war nicht meiner, und der passende Song dazu säuselte jetzt durchs Einkaufsradio, ein alter Hit. Während ich den Brocken schulterte und versuchte, die Balance zu halten, stand die alleinerziehende Exfreundin da mit Tüten in den Händen und beschwerte sich. Sie war neu auf der Liste der Menschen, die es stört, wenn man über sie in der Zeitung schreibt. Sie fühlte sich wehrlos. Dabei hatte ich nichts Schlechtes über sie geschrieben; aber sie fand, ich solle die Konflikte mit ihr lieber direkt austragen, ihr ins Gesicht sagen. Eine Folge noch, antwortete ich.
Wir hatten uns in Spandau verabredet. Da wohnte ihr Onkel. Bei dem sie wohnte. Die Fahrt zurück dauerte ewig. Ich dachte über ihren Vorwurf nach. Nach ihrer Definition wird man nicht mit 18, sondern spätestens mit 30 erwachsen und hat dann über einen ordentlichen Beruf zu entscheiden, über Nestbau, Familie, und Entsagung schädlicher Freuden wie dem Rauchen oder dem Barhocker unter der Woche, es sei denn, es läuft Fußball. Es sah also schlecht aus für mich. Mein Beruf war ohnehin ein behaupteter, wie Kollege A. kürzlich meinte. Und jetzt wurde ich schon 40.
Jemand hatte FUCK SOLARIS ins S-Bahn-Fenster geritzt. Am Hackeschen Markt stand ich auf, stieg aus und zog durch die Straßen. Die Jeunesse dorée saß in den Cafés und hielt ihre perfekte Haut ins Licht. Es stimmte schon: Ich gehörte nicht mehr dazu. Zu den schönen Leuten. Habe vielleicht noch nie dazugehört. Was mir früher nie etwas ausgemacht hat, im Gegenteil: Da wollte ich nicht dazugehören. Ich hielt mich für etwas Besseres. Jetzt kenne ich die Vergeblichkeit. Jetzt, da ich äußerlich nicht mehr mithalten konnte, empfand ich Neid. Und den Wunsch nach Reintegration. RENÉ HAMANN
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