Endlich wieder Frieden

Der SPD-Chef Kurt Beck kämpft gegen das geplante US-Raketenabwehrsystem in Osteuropa – und für ein neues Image

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat die US-Pläne für einen Raketen-Abwehrschild in Osteuropa scharf kritisiert. Er sagte laut Redemanuskript am Montag:

„Es ist ein Irrglaube, dass mehr Waffen zu mehr Sicherheit führen.“„Wir brauchen nicht mehr Raketen, sondern wir brauchen noch mehr Anstrengungen, um Vertrauen zu schaffen und Misstrauen abzubauen.“ „Wir müssen alles tun, um eine neue Rüstungsspirale zu verhindern. Die aktuelle Diskussion um das Raketenabwehrsystem zeigt aber, dass genau eine solche Gefahr droht. Das müssen wir ernst nehmen.“ „Der Atomwaffensperrvertrag verpflichtet die Unterzeichner-Staaten, die keine Atomwaffen haben, keinen Besitz von Atomwaffen anzustreben und die Atommächte, ihre atomaren Arsenale abzubauen. Wir fordern die Umsetzung dieser Vertragsverpflichtungen.“ AP

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Er lässt nicht locker. Kurt Beck macht da weiter, wo er am Wochenende begonnen hat. Die Aufregung über sein kategorisches Nein zur Aufstellung von neuen US-Abwehrraketen in Osteuropa hat sich noch nicht gelegt, da setzt der SPD-Vorsitzende noch einen drauf. Schon am Montagmittag lässt Beck verbreiten, was er am Abend bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert Stiftung vortragen will. Eine Rede, die es in sich hat.

„Es ist ein Irrglaube, dass mehr Waffen zu mehr Sicherheit führen“, erklärt Beck im Brustton grundsätzlicher Überzeugung, um im Bezug auf das aktuelle US-Programm apodiktisch festzustellen: „Wir brauchen nicht mehr Raketen.“ Das Signal ist eindeutig: Beck denkt nicht daran, zurückzurudern und auf die Wischiwaschilinie der Kanzlerin einzuschwenken, die sich in dieser Frage, wie so oft, inhaltlich nicht festlegt.

Angela Merkel möchte über die Raketen erst noch reden. Mit den USA, mit den Polen, mit den Tschechen und, wenn möglich, in der Nato. Die CDU-Chefin sagt nicht, ob sie neue Raketen für nötig hält oder ob sie neue Raketen verhindern möchte. Sie will die USA nicht verärgern – und als amtierende EU-Ratspräsidentin möchte sie keinen Streit, der die schönen Feierlichkeiten zum 50. EU-Jubiläum stören könnte. Deshalb nimmt sie Rücksicht auf die Polen, die an der US-Raketenabwehr interessiert sind. Deshalb sagt sie: „Wir sollten immer darauf achten, vertrauensvoll über alle Dinge gemeinsam zu sprechen, um Spaltungen zu vermeiden.“ Und was macht Beck? Er sagt jetzt schon nein zu den Raketen. Mehrmals. Ohne Raum für Zwischentöne, die Merkel so sehr liebt, weil sie alles offen lassen.

Beck tritt in diesen Tagen auf wie ein Sprecher der Opposition, ja mehr noch: Er klingt wie der Sprecher einer neuen Friedensbewegung in Deutschland, die es noch gar nicht gibt. Warum legt er sich dermaßen fest, dass neue Raketen, komme, was da wolle, abzulehnen seien? Ausgerechnet er, der gemütliche Rheinland-Pfälzer. Ausgerechnet Beck, der bislang als pragmatischer Realpolitiker bekannt war. Unfreundlicher ausgedrückt: Beck gilt als einer, der jederzeit bereit ist, für den Machterhalt noch so faule Kompromisse herbeizuführen und anschließend schönzureden. Warum macht er jetzt so etwas, warum spielt er sich als friedliebendster Waffengegner aller Pazifisten auf?

Es ist nicht anzunehmen, dass Beck über Nacht zum linken Radikalinski wurde. Die Entschlossenheit, die er im Kampf gegen die Raketen zur Schau stellt, dürfte vielmehr nüchternem Kalkül entspringen: Er braucht, was Politiker ein „Winner-Thema“ nennen. Seine Partei steht nicht nur in den Umfragen schlecht da, sie ist auch innerlich in einem miserablen Zustand. Die Mitgliederzahl sinkt, die Motivation der Funktionäre auch. Unternehmensteuersenkung, Rente ab 67 – was die sozialdemokratischen Minister in der großen Koalition so fabrizieren, sorgt bei vielen Sozialdemokraten nachgerade für Verzweiflung. Auch der Afghanistan-Einsatz ist in der Partei heftig umstritten, wie 69 Gegenstimmen bei der „Tornado“-Entsendung zeigten. Und über allem steht die Frage: Wie sollen wir den Leuten erklären, wozu es die SPD noch gibt?

Nun scheint es endlich wieder eine Antwort zu geben. Selten in seiner einjährigen Amtszeit als Parteichef hat Beck so viel Zustimmung aus den eigenen Reihen bekommen. Der Juso-Vorsitzende Björn Böhning ist begeistert. Seiner Meinung nach geht es in der Debatte, die Beck so meisterhaft zuspitzt, darum, deutlich zu machen, „dass wir eine Friedenspartei sind“. SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow gerät geradezu ins Schwärmen: „Abrüstung und Rüstungskontrolle haben für uns Sozialdemokraten Priorität.“ Es gebe in der Welt größere Aufgaben wie etwa die Armutsbekämpfung. „Jede Rakete, die man nicht bauen muss, ist die bessere Lösung.“

Die SPD scheint wie befreit: Endlich kann sie sich von der Union absetzen. Endlich kann die SPD die Gefühle einer Generation ansprechen, die mit der Angst vor dem Atomkrieg aufgewachsen ist. Wenn Beck vor einem Rüstungswettlauf warnt, ist das auch eine gewollte Reminiszenz an den SPD-Übervater Willy Brandt, der einst auf der großen Friedensdemo in Bonn gegen die Aufrüstung in den 80er-Jahren auftrat.

In der Union weckt die neue Friedensliebe längst Misstrauen und Verdruss: Schon macht bei der CDU das Wort vom „Goslar II“ die Runde. In einer Wahlkampfrede auf dem Marktplatz von Goslar hatte Gerhard Schröder 2003 den Irakkrieg abgelehnt. Auch Beck dürfte an den Erfolg denken, den Schröder hatte. Er kann sich seine scheinbar unumstößliche Haltung aber nur leisten, weil gar keine Abstimmung ansteht, die die Koalition gefährden könnte. Die SPD wird über die Raketen nicht entscheiden. Aber nein zu sagen tut ihr gut.