Die geplante Popbruchstelle

Von Karpatenhund lernen, heisst das coole Wissen vergessen lernen, ohne dass es simpel wird

Starten wir mit dem Wissensstand. Björn Sonnenburg, Claire Oelkers, Niklas Jansen, Mauri Arca und Stephanie Schrank haben den 20. Geburtstag schon ein bisschen hinter sich, besitzen Abitur, haben keine Familien, aber dafür eine Band gegründet. Dort produzieren die Fünf deutschsprachigen Indierock, an dem alle großen Labels der Republik Interesse bekundet haben. Unterzeichnet haben sie bei Virgin Records – “Wir müssen uns da vor keinen Karren spannen“ und seitdem geht‘s aufwärts.

Den Titelsong zur ARD-Serie „Türkisch für Anfänger“ schon im Handgepäck, ging die Reise in die Media-Control Charts – die oft erzählte und nicht verfilmte Geschichte der Indie-Band, die mit ein bischen Cleverness die Herzen erobert, hätte mit Karpatenhund die passenden Hauptdarsteller gefunden. Typecasting sozusagen. “Als wir die Band gegründet haben, haben wir ziemlich bewusst gesagt, dass wir gern erfolgreich sein wollen. Wir haben da ein Spiel raus gemacht, so ähnlich wie im KLF-Buch“, erzählt Björn. Das KLF-Buch also, dieses Handbuch zum schnellen Chartserfolg, deren Anwendung das britische Elektronikprojekt zu Millionären machte – Karpatenhund kennen ihre Referenzen. Der Bandname, ist eine Anspielung auf eine bekannte Folge der Drei Fragezeichen, doch ansonsten kennt ihr System nur wenig Grenzen. “Man kann gerne zitieren, aber man versteht alles auch ohne die Zitate“, bemerkt Stefanie. Das Cover der ersten Single „Gegen den Rest“ ist eine Hommage an „My War“ von Black Flag, einem Klassiker des kalifornischen Punk. „You say that you‘re my friend, but you‘re one of them“ besingt ein gerade der Pubertät entwachsener Henry Rollins seine Teenage Angst.

Ein Vorbild für Karpatenhund? „Rein thematisch geht es schon meistens um diesen Moment kurz vor dem Wahnsinnig werden oder einfach darum ein selbst bestimmtes Leben zu führen“, erläutert Stephanie, „Das ist ja schon unsere Sicht auf die Welt in Popmusik verpackt.“ Ein hübsch geschnürtes Paket aus Drei-Minuten-Songs ist es geworden, diese Weltsicht auf ihrem Debütalbum „#3“. Radiotauglich, obwohl das ja heute nicht mehr viel heißt und ziemlich einladend. „Wir wollten nie ein Fernsehfilm werden, sondern immer ein Kinofilm sein und keine deutsche Produktion“, singt Claire in „Stunts“ über einer zuckersüßen Melodie, die in ihrer ergreifenden Gelungenheit so gar nicht zu den Texten passen will. „Mit sowas arbeiten wir gerne“; bemerkt Stefanie und Björn ergänzt „Wir wollen Brüche erzeugen.“ Nur verschrecken, das will man nicht, eher die Klangtapete zum sanften Grübeln bieten - auf Massenbasis, versteht sich: „Die Stücke sollen eine zwingende Offenheit haben.

Im besten Fall ist es bei den Texten so, dass jeder sagen kann: Hey, da spreche ich. Bei den Smiths, zum Beispiel, ist es ja auch nicht unbedingt Morrissey, der da spricht, obwohl da durchaus Standpunkte und Parolen angeboten werden.“ Doch warum bedienen sich auch Karpatenhund wie eine Vereinigung von Ladendieben beim den Schätzen der Popgeschichte anstatt einfach Geschichten zu erzählen? „Der Nachteil am Storytelling ist: Wenn man es nicht extrem gut macht, wie z.B. Bob Dylan, dann wird es schnell langweilig.“, erläutert Björn. „Deshalb spricht mich immer Musik an, die mehr auf die Poesie des Wortes setzt.“ Karpatenhunds Geschichten werden sie wohl weiterhin schreiben müssen, anstatt sie zu erzählen. „Für uns ist es die Möglichkeit, kein bürgerliches Leben führen zu müssen. Wenn es nicht klappt, dann manchen wir halt was anderes. Man muss ja deshalb nicht aufhören, nach Ausdrucksformen zu suchen.“

CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Karpatenhund: #3 (Virgin), Infos: www.karpatenhund.com