berliner szenen Der Ginkgo

Einsfünfzig

Das Pflanzen einer deutschen Eiche wurde einer entfernten Verwandten von mir, einer Koreanerin, die schon lange hier lebt, von der Stadt aufgetragen, nachdem ein anderer Baum auf ihrem Grundstück eingegangen war. Der andere Baum, sagte mir meine Verwandte, sei keine Eiche, sondern ein Ginkgo gewesen.

Zwölf Jahre sei das jetzt her, dass sie die Überreste des Ginkgos auf eigene Kosten, sagte sie, beseitigt habe. Bald darauf, sie sei gerade dabei gewesen, sich an das Fehlen des Ginkgos zu gewöhnen, an die Lücke im Eingangsbereich und die nun einfallende Nachmittagssonne, da sei ein Mensch von der Stadt, aus dem Nichts, aufgetaucht und habe ihr mitgeteilt, sie hätte nun eine Eiche zu pflanzen, deutsch und von der und der Größe. Sogar einen entsprechenden Händler habe man ihr genannt, sagte meine Verwandte und lachte ihr hübsches Koreanerinnenlachen.

Ob es denn unbedingt eine Eiche habe sein müssen, wollte ich von ihr wissen, warum nicht ein neuer Ginkgo, schließlich stehe auf der anderen Seite des Eingangs ja noch ein zweiter. Nein, sagte darauf meine Verwandte, die Anordnung von der Stadt habe ausdrücklich eine Stiel- oder Steineiche verlangt von wenigstens 1,50 Meter Höhe.

Ab und zu komme jemand von der Stadt vorbei, um nach der Eiche zu sehen, und ob sie, meine Verwandte, den Baum ordnungsgemäß behandle und nicht etwa Äste entferne oder die Spitze abschneide, wegen der Sonne. Wir standen in der Eingangspforte vor ihrem Haus, zwischen der Eiche und dem wesentlich höheren Ginkgo, und sahen durch das Blätterdach, das die beiden Bäume in einiger Höhe über uns bildeten. Darüber, viel viel weiter oben, lösten die Kondensstreifen eines Jets sich langsam in der Luft auf. SASCHA JOSUWEIT