Geschichten von der Wahl der Mittel

Ein 90-jähriger Widerstandskämpfer trifft auf hessische Streikstudenten: Zwei Dokumentarfilme berichteten im Kino Babylon noch schnell kurz vor G 8 über die Chancen und Aporien von unterschiedlichen Formen des Neinsagens

Widerstand ist keine Kunst. Überzeugung braucht es, Wut und Kraft – und manchmal eine Menge Mut. Am Pfingstmontag hatte das Kino Babylon im Vorfeld des G-8-Gipfels zur Probe aufs Exempel geladen – in historischer wie aktueller Perspektive. Zu Gast war der Widerstandskämpfer Ernesto Kroch, 90 Jahre, selbstironisch und trotz 30-stündiger Anreise aus Montevideo hellwach. Schon in der Weimarer Republik politisch aktiv, war er Teil einer Breslauer Widerstandsgruppe im Dritten Reich, entwarf und verteilte Flugblätter. Die Nazis steckten ihn erst ins Gefängnis, dann ins KZ Lichtenburg. Er kam frei und gelangte über Jugoslawien nach Uruguay.

Dort findet der gelernte Maschinenschlosser Arbeit in seinem Beruf und wird Mitglied der Kommunistischen Partei. Als in den 70er-Jahren durch einen Staatsstreich die Militärs an die Macht kommen und die Diktatur installieren, setzt Kroch auf bewährte Widerstandspraktiken im Untergrund. 1982 muss er fliehen, kehrt für ein paar Jahre nach Deutschland zurück und betätigt sich nach der Rückkehr Uruguays zur Demokratie dort als Kämpfer gegen den Neoliberalismus. Der Filmemacher Martin Keßler hat einen Dokumentarfilm über Kroch und seine Lebensgefährtin Eva Weil gedreht. Dieser Film ist noch nicht fertig, eine Kurzfassung führte Keßler jetzt im Babylon vor. Man sieht darin, wie Kroch Plakate malt gegen die neoliberale Politik, auf der Bühne erzählt er, wie er als Journalist für kleine Gewerkschaftsblätter gearbeitet hat. „Wenn man keine großen Mittel hat“, sagt er dann, „muss man eben die primitiven wählen.“

Widerstand ist keine Kunst. Zumindest nicht für die an diesem Abend sehr zahlreich erschienenen Besucher. Nur einen Steinwurf weit, strikt metaphorisch gesprochen, ist das Babylon von der Volksbühne entfernt. Von dem Ort also, an dem man sich seit einigen Jahren linke Politik und kritischen Widerstand als sexy Großstadt-Melange aus Theoriedebatte und Theater-Happening auszudenken sucht. Mit gewissen Problemen vielleicht im Praxisbezug. Es war freilich kein Volksbühnen-Publikum versammelt am Pfingstmontagabend. Und sexy war die Veranstaltung auch eher nicht. In der Reihe hinter mir sitzt Hans Modrow, mehrere Besucher lesen die Junge Welt. Ein nicht mehr junger Mann vom Offenen Kanal sammelt Unterschriften für ein NPD-Verbot. Was sich hier versammelt, ist in etwa der Linkspartei- und Gewerkschafts-Ausläufer von Attac, ein wiedererkennbares Milieu, gekennzeichnet nicht zuletzt durch beträchtliche Nachwuchssorgen.

Zwischen den vielen älteren aber auch eine Reihe sehr junger Leute. Das hat mit dem zweiten Teil des Abends zu tun. Vor einem Jahr hat Martin Keßler nämlich unter dem Titel „Kick it like Frankreich“ eine Dokumentation über die hessischen Studentenproteste gegen Studiengebühren gedreht. Der Film ist so kunstlos wie parteiisch, führt aber Chancen und Aporien heutiger Widerstandsformen deutlich vor Augen. Mal gibt es bei den Protesten Fußballeinlagen zwischen Studenten und Polizei. Dann wieder werden bei Autobahn-Blockaden die Studierenden eingekesselt, aufs Revier geschleppt und angezeigt. Es gibt Auftritte der Spaßfraktion, widerständiges Campen vor der Gießener Uni, punktuelle Solidarisierungsversuche mit den Gewerkschaften. In einer aufs Medienecho berechneten Aktion kapern Studierende den Pressekonferenzsaal des Bildungsministers, dessen Mitarbeiter, mehr oder weniger permissiv im Ton, auf die Räumung verzichten. Natürlich bleibt der Minister aber hart in der Sache.

Über die Erfolgsaussichten ihrer Proteste machen sich die Beteiligten wenig Illusionen. Ernesto Kroch berichtet in der anschließenden Diskussion von seiner Verzweiflung in der Nazi-Haft. Und macht dann Mut: „Kein Widerstand ist vergeblich. Nichts geht verloren.“ Durchhalteparolen, auf die die Linke nach Lage der Dinge nicht verzichten kann. Wenn man sie einem abnimmt, dann Ernesto Kroch.

EKKEHARD KNÖRER

Der 18-minütige Film über Ernesto Kroch ist ebenso wie ein Auszug aus „Kick it like Frankreich“ auf Martin Keßlers Website www.neuewut.de als Stream zu sehen.