Das Volk überwältigt die Hamburger SPD

VOLKSBEGEHREN Mehr als 115.000 HamburgerInnen wollen den Energiekonzernen die Versorgungsnetze wegnehmen. Der Erfolg des Referendums setzt den SPD-Senat unter Druck. Der deutet Einlenken an

Bürgermeister Scholz sträubt sich, aber seine SPD signalisiert Kompromissbereitschaft

Das Soll ist fast doppelt erfüllt. Genau 116.197 Unterschriften hat das Bündnis „Unser Hamburg - Unser Netz“ gesammelt. Die Listen wurden am Donnerstagvormittag dem Hamburger Landeswahlamt übergeben. Erforderlich für einen Erfolg sind lediglich knapp 63.000 gültige Stimmen. Dieses Ergebnis setzt nun SPD-Bürgermeister Olaf Scholz unter Druck, der den vollständigen Rückkauf der Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme von den Konzernen Vattenfall und Eon ablehnt und nur einen Anteil von 25,1 Prozent anstrebt. Bis Jahresende muss das Parlament über eine Annahme des Volksbegehrens entscheiden, sonst kommt es zu einem verbindlichen Volksentscheid.

„Wer wissen will, was die Bürger denken, dem können wir helfen“, sagt Wiebke Hansen, Kampagnenleiterin des Bündnisses, mit süffisantem Unterton an die Adresse des Senats. Sollte der Senat das Ergebnis ignorieren, wäre das „ein Affront gegen die politische Kultur in der Stadt“. Die Netze seien nicht nur nützlich für die Energiewende, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, sagt Dirk Seifert von Robin Wood. In Verbindung mit dem städtischen Ökostromer Hamburg Energie könne die Re-Kommunalisierung der Netze „die Grundlage für eigene Stadtwerke sein“.

Scholz ist weiter skeptisch: „Wenn Hamburg die Netze vollständig übernehmen soll, müssen die Steuerzahler für einen milliardenschweren Kredit und Zinsbelastungen geradestehen“, gab er am Donnerstag zu bedenken. Er sei sich sicher, dass es dafür bei einem eventuellen Volksentscheid keine Mehrheit geben werde. Der Bürgermeister wies auf das unternehmerische Risiko hin, das die Stadt bei einer vollständigen Übernahme der Netze allein zu tragen hätte: „Das muss nicht sein.“

Nach diesem „Volksbegehren wie ein Donnerhall“ müsse die SPD einlenken und das Gespräch mit der Initiative suchen, findet der grüne Fraktionschef Jens Kerstan: „Herr Scholz muss seinen sturen Kurs ändern.“

Aus SPD-Kreisen wird bereits Gesprächsbereitschaft angedeutet. Nach den Sommerferien werde sich das Parlament mit dem Begehren beschäftigen, dann müsse „man mal sehen, welche Annäherungen möglich sind“, sagt ein führender Sozialdemokrat: „Und dann pappen wir ein Preisschild drauf und rechnen neu.“ Zudem müsse man über den Erfolg des Volksbegehrens gar nicht so unglücklich sein: „Das erhöht den öffentlichen Druck auf Vattenfall und Eon, die Energiewende mitzutragen.“ SVEN-MICHAEL VEIT