Welle der Gewalt

AUS ERBIL INGA ROGG

Trotz einer großen Sicherheitsoffensive steigt seit Wochen die Gewalt in Bagdad an. Der jüngste Fall: Kidnapper in Polizeiuniformen haben am Dienstag mehrere Ausländer aus einem Gebäude des Finanzministeriums verschleppt. Irakische Sicherheitskreise machten zunächst widersprüchliche Angaben über die Zahl und Herkunft der Geiseln. Aus dem Innenministerium hieß es, bei den Entführungsopfern handele es sich um vier deutsche EDV-Spezialisten, die in dem Gebäude einen Computerkurs gegeben hätten. Aus westlichen Sicherheitskreisen in Bagdad verlautete dagegen, ein Computerspezialist und drei Leibwächter einer westlichen Sicherheitsfirma seien verschleppt worden.

Britische Medien berichteten von fünf bis acht Geiseln, bei denen es sich um vier britische Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma und um einen britischen Finanzexperten sowie zwei oder drei westliche Staatsangehörige handeln soll – darunter möglicherweise ein Deutscher und ein Amerikaner. Dabei wurde auch spekuliert, dass die EDV-Spezialisten für eine deutsche Firma tätig sind. Das Auswärtige Amt bestätigte die Berichte zunächst nicht. Das Foreign Office hingegen bestätigte die Entführung von fünf britischen Staatsangehörigen. Sollten auch Deutsche dabei sein, wäre es die vierte Verschleppung von Deutschen in den letzten eineinhalb Jahren.

Fest steht jedenfalls, dass der Überfall offenbar von langer Hand geplant war. Nach Angaben von Augenzeugen fuhren die Kidnapper in rund 40 Polizeifahrzeugen vor das gut gesicherte Ministeriumsgebäude in der Palästinastraße mitten in Bagdad. Mit gezogenen Waffen sei eine Gruppe von Bewaffneten in den Schulungsraum gestürmt, sagte ein Polizeibeamter. Die Geiselnehmer hätten die erst vor kurzem eingeführten neuen Uniformen der Bundespolizei getragen. Nachdem in letzter Zeit Gangster in Polizeiuniformen an ungezählten Entführungen beteiligt waren, war diese Uniform, die angeblich auf dem Schwarzmarkt nicht nachgemacht werden kann, eingeführt worden, um Kriminelle von echten Polizisten unterscheiden zu können. Das ist angesichts der Unterwanderung der Sicherheitskräfte durch schiitische wie sunnitische Milizionäre und deren Verwicklung in die organisierte Kriminalität ein schwieriges Unterfangen.

Mindestens 200 Ausländer und Tausende von Irakern wurden in den letzten Jahren im Irak entführt. Dabei kam es im vergangenen Jahr zu einer Reihe von Massenverschleppungen aus irakischen Ministerien. In einem der brutalsten Überfälle entführten vermutlich Milizionäre des radikalen schiitischen Predigers Moktada as-Sadr im November mehr als 120 sunnitische Mitarbeiter des Hochschulministeriums.

Nach Beginn der Sicherheitsoffensive in Bagdad vor gut drei Monaten war es zunächst gelungen, die Entführungen wie die Fememorde einzudämmen. In den vergangenen Wochen haben die Amerikaner mehrere Folterkammern sowohl der Sadr-Miliz wie der Terrorgruppe al-Qaida entdeckt. Dabei haben sie nach eigenen Angaben am Freitag 42 Folteropfer aus dem Qaida-Gefängnis befreit.

Doch seit Wochen nimmt die Gewalt wieder zu. Am Sonntag wurden 40 Stammesangehörige, die sich al-Qaida zusammen angeschlossen hatten, in der Gegend von Samarra verschleppt. Am Montag forderten zwei Bombenanschläge in Bagdad mindestens 40 Tote und mehr als 100 Verletzte. Nach Polizeiangaben explodierte am frühen Nachmittag auf dem zentralen Tayaran-Platz ein mit Sprengstoff bepackter Minibus. Der Anschlag forderte mindestens 23 Tote und mehr als 60 Verletzte. Etwa eine Stunde später explodierte vor einer schiitischen Moschee im Westen der Stadt eine weitere Autobombe, die 17 Personen in den Tod riss und mehr als 50 verletzte. Einen Tag zuvor hatte ein Anschlag im Nordirak 21 Tote gefordert.