Faszination und Abwehr

RITUAL Kulturhistorische Aufarbeitung: Das Christentum verbot die Beschneidung, um sich von der jüdischen Religion abzugrenzen. Gleichzeitig verehrte es die Vorhaut von Jesus, wie die Ausstellung „Haut ab“ im Jüdischen Museum zeigt

VON INES KAPPERT

Auch Jesus war beschnitten, und viele Jahrhunderte zählte seine Vorhaut zu den wichtigsten Relikten im Vatikan. Die Ausstellung „Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung“ im Jüdischen Museum erzählt diese weitgehend vergessene Geschichte. So ist dort unter anderem „Die Beschneidung Christi“ von Peter Paul Rubens 1605 zu sehen, das leidende Frauen und emsig an einem Kleinkind hantierende Männer zeigt. Bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts reagierte die Kirche mit Abscheu, aber auch Faszination auf das rituelle Beschneidungsritual der jüdischen Religion. Danach verlor sich das Interesse deutlich. Erfolgreich hatten die Päpste sich darum bemüht, den Kult um die Vorhaut und auch die Forschung darüber einzuhegen.

Mit dem Abtrennen der Vorhaut, der Brit Mila, wird im Judentum der Bund mit Gott als unauslöschbar bestätigt. Dass nun ausgerechnet der Heiland das Zeichen der Vorgängerreligion aufweist, ist dann natürlich ein Problem. Die Christen retteten sich in die Ambivalenz: Abwehr und Anbetung. Gleichzeitig verbot das Christentum die Beschneidung, ja das Nichtbeschnittensein wurde zum wichtigen Abgrenzungsakt zur jüdischen Religion, die ja eine mächtige Konkurrenzideologie war. Entsprechend weist die Verzerrung der Beschneidung zum Ritualmord eine lange Tradition auf, die ihren Höhepunkt wenig erstaunlich während der Nazizeit fand.

Und natürlich spielte das Ressentiment auch in der jüngsten deutschen „Beschneidungsdebatte“ keine kleine Rolle. Sie war der Anlass der jetzigen, sorgsam gemachten kulturhistorischen Schau, die publikumswirksam mit einer halbgeschälten gelben Banane für sich wirbt.

2012 hatte das Kölner Landgericht entschieden, dass Beschneidung in Deutschland grundsätzlich im Rahmen der Religionsfreiheit erlaubt ist. Hintergrund war die Beschneidung eines muslimischen Jungen, der in einem Krankenhaus nachbehandelt werden musste. Zwei Rechtsanwälte hatten den verantwortlichen Arzt der einfachen Körperverletzung angeklagt. Was sich zunächst um den Islam drehte, wurde schließlich zu einer Debatte um freie Religionsausübung in Deutschland insgesamt und betraf damit auch die hier lebenden Juden. Böse Zungen meinten damals, dass es wohl zu einem Verbot gekommen wäre, hätte es allein Muslime getroffen.

In jedem Fall aber hat die Debatte zur Enttabuisierung dieses Rituals geführt, zumal in Deutschland. (In den USA ist die Beschneidung ein beliebtes Komödienthema). So gab die Programmdirektorin Cilly Kugelmann zu, dass ihre erste Reaktion auf den Vorschlag, eine Ausstellung zum Thema zu zeigen, ein reflexhaftes Nein war: „Das kann man nicht machen.“ Als sie dann eine Nacht darüber geschlafen hatte, fragte sie sich „Warum eigentlich nicht?“ und gewann schließlich die Kuratorin Felicitas Heinemann-Jelinek aus Wien für dieses Vorhaben.

Die Ausstellung hat sich die kulturhistorische Aufarbeitung dieses Rituals zur Aufgabe gemacht, das sowohl für Judentum als auch den Islam ein zentrales ist. Gleichzeitig bleiben die AusstellungsmacherInnen nicht bei der Geschichte stehen, sondern zeigen unter anderem den zeitgenössischen Künstler Steve Cohen aus Südafrika mit dem Selbstporträt „Dancing Inside Out“ (2006). Die Fotografie zeigt einen nackten Mann, auf dessen Glied ein Davidstern klebt, der in ein schwarzes Korsett gepresst ist und in übergroßen, mit Leopardenfell überzogenen Pumps stehend und gespreizten Beinen versucht, die Balance zu halten.

Die Arbeit spielt mit den verschiedenen Identitätszuschreibungen, angefangen beim Judentum, über Mann- und Frausein, lässt dabei den Umstand nicht aus, dass der Künstler ein weißer Südafrikaner ist, und findet so ein Bild für das Ineinander von Einzwängung und der Freiheit, mit diesen Stereotypen zu spielen. Schade nur, dass sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog die Debatte darüber fehlt, ob das offenkundig schmerzhafte religiöse Ritual nicht symbolisch ersetzt werden könnte. Warum muss der Schnitt am Glied tatsächlich erfolgen? Beim Abendmahl schluckt man ja inzwischen auch Traubensaft oder Wein statt Blut.

■ „Haut ab. Haltungen zur rituellen Beschneidung“. Jüdisches Museum, bis 1. März 2015