: Kollektive Auszeit
FRAUENFUSSBALL Die kopflose Vorstellung des DFB-Teams beim 0:2 gegen Frankreich wirft grundsätzliche Fragen auf. Am Mittwoch gegen Schweden geht es um Wiedergutmachung
MELANIE BEHRINGER, MITTELFELDSPIELERIN
AUS OFFENBACH FRANK HELLMANN
Eigentlich gab es am Bieberer Berg nur eine Szene, in der die deutschen Nationalspielerinnen dagegenhalten konnten: Das geschah in den Anfangsminuten, als Annike Krahn einen so krachenden Pressschlag mit der Französin Camile Abily hinlegte, dass die filigrane Technikerin von Olympique Lyon kurz darauf ausgewechselt werden musste. Doch das hat weder die 5.317 Augenzeugen in Offenbach noch die Abwehrspielerin von Paris St. Germain versöhnt. Im Gegenteil. Wann hat es für die Europameisterinnen einen solchen Warnschuss gesetzt wie bei der verdienten 0:2(0:2)-Niederlage im Testspiel gegen Frankreich? „Das passiert uns selten, das darf uns aber nicht passieren“, gab Annike Krahn hinterher zu.
Bundestrainerin Silvia Neid zählte eine so lange Mängelliste auf, dass zum Freundschaftsspiel gegen Schweden am Mittwoch (18 Uhr) in Örebro kaum genügend Zeit bleibt, alle Versäumnisse zu korrigieren. „Wir haben es nie geschafft, aus einer guten Grundordnung zu spielen. Wir hatten zu weite Abstände. Wir haben es nicht geschafft, die Zweikämpfe zu gewinnen. Und auch technisch waren wir meilenweit unterlegen: Die Französinnen haben den Ball gestoppt, dann lag er da – bei uns sprang er immer ein, zwei Meter weg.“ Alles richtig beobachtet von der 50-Jährigen, zu deren Stärke es gewiss zählt, die Schwächen nicht für die Öffentlichkeit unter den Teppich zu kehren.
„Präzision und Robustheit“ vermisste die Welttrainerin des Jahres übrigens auch noch. Klartext zu reden war insofern besser, weil die kopflose Vorstellung grundsätzliche Fragen aufwarf. Wenn etwa die im zentralen Mittelfeld überforderte Melanie Behringer (FC Bayern) behauptet, auf der Sechs habe sie noch nie gespielt, muss man sich schon wundern. Schließlich hat sie diese Position häufig genug früher beim 1. FFC Frankfurt bekleidet. Apropos 1. FFC Frankfurt: Die viel beanspruchten Kräfte des wichtigsten Zulieferervereins nahmen sich eine kollektive Auszeit: Torjägerin Celia Sasic in vorderer Reihe ohne Bindung, Strategin Dzsenifer Marozsan in defensiver Rolle ohne Biss, Führungsspielerin Simone Laudehr vom Flügel ohne Einfluss, Eigentorschützin Bianca Schmidt (17.) ohne Selbstvertrauen und Jungnationalspielerin Kathrin Hendrich ohne Fortune.
„Vor allem die erste Halbzeit war sehr, sehr schwach. Die Französinnen haben mit uns Katz und Maus gespielt“, konstatierte Melanie Behringer. Auch die neuerdings in Paris tricksende Lira Alushi („Wir sind nur hinterhergelaufen, wir waren gar nicht da“) brachte nur eine gescheite Szene zustande, als nach 26 Sekunden ihre Zimmergefährtin Celia Sasic die Kugel über den Balken köpfte. Ansonsten regierte im Offensivspiel das Prinzip Zufall. Wer dagegen Louisa Necib zaubern sah, der muss es jammerschade finden, dass Olympique Lyon vielleicht früh aus der Women’s Champions League ausscheidet, weil es bald im Achtelfinale zum innerfranzösischen Aufeinandertreffen der Topvereine aus Lyon und Paris kommt. Die von ihr personifizierte Spielfreude war eine Augenweide. Schon nach 20 Minuten kombinierten die Französinnen durch Élodie Thomis den Endstand heraus.
Nicht erst seit dem Viertelfinal-Aus bei der Heim-WM im eigenen Land warnt Silvia Neid vor einer überzogenen Erwartungshaltung im deutschen Frauenfußball und fühlte sich nun bestätigt, „dass Frankreich schon lange zu den Favoriten zählt“. Zumal zum Leidwesen fast aller Protagonisten die auf 24 Teilnehmer aufgeblähte WM im nächsten Sommer auf ungeliebtem Kunstrasen ausgetragen wird, der solch technisch starke Teams nicht benachteiligen wird. Die Bedingungen in den sechs kanadischen Spielorten scheinen mittlerweile unabänderlich, auch wenn die gegen den Weltverband Fifa angestrengte Klage von 40 Topspielerinnen gegen eine Frauen-WM auf Kunstrasen noch nicht entschieden ist. „Ich fand es gut, dass die Spielerinnen sich dagegen wehren“, sagt Silvia Neid, „aber es wird so sein, dass wir darauf spielen müssen. Es sei denn, wir fahren da nicht hin.“ Das kommt aber für den zweimaligen Weltmeister nicht infrage. So wird man übermorgen das Länderspiel gegen Schweden in dem zwei Autostunden westlich von Stockholm entfernt gelegenen Örebro eben auf dieser in den skandinavischen Ländern längst üblichen Spielfläche austragen.