Mit der Crowd experimentieren

NETZ Die Krautreporter sind seit Freitag online. Sie liefern ordentliche, aber nicht besonders originelle Geschichten. Die Reparatur des Onlinejournalismus ist das also noch lange nicht

VON ANNE FROMM

Selten hat ein journalistisches Projekt schon vor seinem Start für so viel Diskussionen gesorgt wie Krautreporter. Im Frühsommer haben die rund 25 JournalistInnen gestartet. Ihr Ziel: Ein Internetmagazin mit hochwertigen Texten, hintergründig, experimentell und tiefgründig, finanziert ausschließlich durch Abonnenten. Innerhalb von vier Wochen wollten sie 150.000 Menschen finden, die dafür 60 Euro spenden. 900.000 Euro sollten so zusammenkommen. Am Ende waren es 17.585 Spender und gut eine Million Euro.

Aus der Öffentlichkeit zogen sie sich nach der Kampagne komplett zurück. Mit ihrem Spruch „Der Onlinejournalismus ist kaputt. Wir kriegen das wieder hin“ haben sie viel Kritik auf sich gezogen. Gemeint war: Viele Nachrichtenseiten hetzen dem Weltgeschehen hinterher, fokussiert auf die schnelle Schlagzeile und viele Klicks.

16 Artikel stehen nun auf der Seite. Jeder kann sie lesen, kommentieren können nur zahlende Mitglieder. Es gibt eine Reportage aus Gaza nach dem Waffenstillstand, ein Porträt der Autorin Dora Heldt, ein Interview mit einem dänischen Krankenpfleger im Ebola-Gebiet. Es sind vor allem Auslands-, Kriegs- und Krisengeschichten. Die Texte sind gut geschrieben und recherchiert. Besonders originell sind sie aber nicht. Viele von ihnen könnten so auch in Printmedien erscheinen – oder an anderer Stelle online. Und das tun sie zum Teil auch schon, denn nicht alle Formate sind speziell für Krautreporter entwickelt.

Tilo Jung zum Beispiel hat seine Interviewsendung „Jung und Naiv“ mitgebracht, Peer Schader, der seinen privaten Supermarktblog betreibt, schreibt über „Edeka und das Märchen vom Tante-Emma-Laden“ und Christoph Koch führt die Rubrik „Medienmenü“ weiter, die bisher auf seinem Blog erschien. Ihren Anspruch, journalistisch zu experimentieren, erfüllen die Krautreporter bisher also nicht. Außer in einem Punkt: dem Umgang mit der Crowd.

Vor gut zwei Wochen bekamen die zahlenden Mitglieder Zutritt zu einer Beta-Version der Webseite. Sie sollten sie testen und Fehler finden.

Aber nicht nur technisch sollen die Leser mitbestimmen, sondern auch inhaltlich. Zahlende Nutzer sehen neben dem Text eine Kommentarleiste. Dort posten zum einen die Autoren Zusatzinfos, Fotos oder Eindrücke aus ihrer Recherche. Hanna Hünniger hübscht ihren Text über Dora Heldt mit Fotos vom Interviewort und Beschreibungen der Situation auf. Und die Leser können dort ihre Zeilen hinterlassen.

Die Seite ist schlicht gehalten: keine Werbung, keine Banner. Schwarze Schrift auf weißem Grund. Jeder Text beginnt mit einem großen Bild, Links und Menüpunkte sind rot. Eine Einteilung in Ressorts gibt es nicht – das gehört zum Konzept.

Für jeden sichtbar sind die Auflistungen zu Spenden und Ausgaben. Der Großteil des Geldes, 68 Prozent, ist demnach, wie versprochen, in die Redaktion und an die Autoren geflossen. Auch ihren Umgang mit Nutzerdaten legen sie offen: Sie messen, wie die Leser die Seite nutzen, mit welchen mobilen Geräten, welchen Browsern und über welche IP-Adresse. Geld verdienen sie damit nicht. Ihr Versprechen, die Nutzer vollwertig in das Projekt einzubeziehen, lösen Krautreporter also ein. Es wird interessant zu sehen, ob sie es durch die Paywall schaffen, eine Debattenkultur zu etablieren.

Die Reparatur des Onlinejournalismus ist das aber noch lange nicht. Ein Jahr haben die Krautreporter jetzt Zeit zu zeigen, dass sie ihr Niveau halten können und sich hoffentlich noch mehr trauen zu experimentieren. Ob das aber reichen wird, genügend Leute zu überzeugen, jährlich 60 Euro zu spenden – für etwas, das sie ähnlich an vielen anderen Stellen im Netz finden –, ist damit noch nicht bewiesen.