Begegnung mit einer Baustelle

GEHEIMNISSE Im Berliner Zentrum entsteht ein klandestines Gebirge aus Glas, Stahl und Beton: Es ist die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes

Es gibt so sehr nichts zu sehen, dass es schon wieder sehenswert ist. Zum Beispiel, wie man als Flanierender selbst unter Beobachtung steht

VON ARNO FRANK

Es gibt nichts zu sehen. Dabei hat es Tage gegeben, da wölbte sich über dem gigantischen Gelände ganz still ein Gespenst aus Staub. Wenn auf der Baustelle Erde bewegt wurde, klagten Anwohner über schlechte Luft, trübe Fensterscheiben und einen mineralischen Geschmack auf der Zunge. Sie hielten das Gespenst für eine lästige Staubwolke. Es war Staub. Aber dieser Staub stammte aus den zermalmten Tribünen des Walter-Ulbricht-Stadions, das dem Neuen weichen musste. Die Tribünen aber bestanden aus Schotter. Und dieser Schotter war nichts anderes als Auffüllschutt aus den Trümmern des gesprengten Stadtschlosses. Das Stadtschloss war es, das an diesen Tagen, transzendiert zu Staub, ein allerletztes Mal auferstand – und dann endgültig verwehte.

Todesstern als Rohbau

Ansonsten drang eigentlich über Monate und Jahre kaum etwas über den braunen Zaun hinaus, der die Baustelle für die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes umfriedet. Lange war alles nur Grube, Ausschachtung, Fundament, Grundstein und Geheimnis unter emsigen Baukränen. Wenn dieses Gelände zwischen Mitte, Wedding und Tiergarten einen Genius Loci hat, dann einen unguten. Erst war hier ein Exerzierplatz, dann eine Kaserne, dann noch eine Kaserne und schließlich das luftige Stadion, wie zur Erholung. Nun lastet hier das Gewicht von 135.000 Kubikmetern Beton und 20.000 Tonnen Stahl, die 4.000 BND-Beamten und ihre Aktentaschen noch nicht mitgerechnet. Es handelt sich um die größte und allergeheimste Geheimbaustelle in unserem deutschen Land. Ein Bau, so heikel, dass er – theoretisch! – nur von echten deutschen Bauarbeitern betreten werden darf, von Leuten mit deutschem Pass oder, besser noch, deutschem Blute, von loyalen Seelen mit schwieligen Händen. Schwarz-rot-goldenes Handwerk. Ein Todesstern ist bekanntlich nur als Rohbau verwundbar.

Bei zeitweise 2.500 Bauarbeitern muss nun aber doch der ein oder andere Trockenbauer aus Tschechien oder Fliesenleger aus Polen zum Zuge kommen. Nicht ohne zuvor mit deutscher Gründlichkeit überprüft worden zu sein, versteht sich. Weil deutsche Unternehmen nicht genug Facharbeiter beschäftigen und die ausländischen nicht ausreichend „durchleuchtet“ werden können. Wo doch das Durchleuchten von Ausländern die eigentliche Kernkompetenz des BND darstellt. Aufgerüstet wurde stattdessen für zusätzliche 25 Millionen Euro beim Sicherheitspersonal. Und deshalb darf man sich durchaus vorstellen, dass hinter jedem, der irgendwo kniet und ein dünnes Brett bohrt, einer steht, der diese Bohrung gewissenhaft überprüft – und ein Auge darauf hat, dass dahinter keine Wanze installiert wird.

Der Flaneur freilich bekommt davon rein gar nichts mit. Er kann es sich nur vorstellen. Es gibt nichts zu sehen. Es gibt sogar so sehr nichts zu sehen, dass es schon wieder sehenswert ist. Zum Beispiel, wie man als Flanierender selbst unter Beobachtung steht. Die hölzerne Palisade um das zehn Hektar große Gelände ist von zahllosen Kameras und Bewegungsmeldern gekrönt, alle zwanzig Meter prangen Verbotsschilder à la: „Betreten, Verwanzen, Fotografieren oder allzu langsames Vorbeigehen an der Baustelle verboten“. Nachts säumt gleißendes Flutlicht das Gelände. Dann patrouillieren hinter dem Zaun mürrische Wachhunde, denen Flutlicht nichts ausmacht. Nirgendwo haften Eltern für ihre Kinder.

An der einzigen Zufahrt müssen sich selbst Streifenwagen brav in die Schlange der Lkws und Transporter einreihen. Bei laufendem Motor reichen die Fahrer der Baufirmen und Zulieferer Papiere aus runtergekurbelten Fenstern, es ist heiß. Hin und wieder nicken weiß-rote Schlagbäume, dann rückt die Schlange um eine Fahrzeuglänge voran. Den Ort umgibt der Flair eines israelischen Grenzübergangs nach Gaza.

Längst haben über dem hölzernen Horizont des Bauzauns alle Gebäude ihre vorgeschriebene Traufhöhe erreicht. Die Kräne sind verschwunden. Noch sind die sachlichen Fassaden mit ihren insgesamt 14.000 Fenstern von gelben Gerüsten gerahmt, an denen in der Ferne offene Aufzüge fahren. Die Bauarbeiter tragen weiße Helme. Im März 2010 war Richtfest, Kanzleramtsminister Roland Pofalla war auch da und sprach vom „größten Bauvorhaben, das von der Bundesrepublik jemals in Angriff genommen wurde“. Bundesrepublik. In Angriff genommen. Jemals. Größe. Beauftragt war ein vielbeschäftigter deutscher Architekt von internationalem Renommee und mit einem Gespür für die pharaonischen Bedürfnisse seiner Kunden. Oberst Gaddafi hat bei ihm einen Wolkenkratzer bestellt. Den längsten des Kontinents, 277 Meter. Mit einem künstlichen Wasserfall von 200 Meter Höhe, um in Tripolis für ein „erfrischendes und kühles Klima“ zu sorgen. Das größte Bauvorhaben, das Afrika jemals in Angriff genommen hat. Hätte 2012 fertig sein sollen, der Turm.

Der titanische Trumm an der Chausseestraße dagegen soll 2014 bezugsfertig sein. Früher war der BND auf einem Gelände im idyllischen Isartal untergebracht, das von der Straße aus wie ein weitläufig-heiterer Campus wirkte. Früher war der deutsche Auslandsgeheimdienst etwas, von dem man wusste, dass es ihn gab, aber nicht genau wissen wollte, was er eigentlich so trieb. Jetzt erhebt sich dieser Elefant mitten im Wohnzimmer der Hauptstadt, und man fragt sich: Das alles braucht’s für die „Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland“ wie es in Paragraf 1, Abs. 2 des BND-Gesetzes so schön formuliert ist? Und dafür sei ein neues Stadtviertel aus dem Boden gestampft? Es sei.

Deutlich wird das an dessen Rändern, entlang des Zauns. Es ist ein Viertel im Wartestand, verschlafen wie ein Tal vor der absehbaren Flutung durch einen Stausee. Nebeneinander halten sich hier schäbige Kioske und edlere Bistros, teure Hotels und günstige Hostels, alle mit Blick auf das klandestine Gebirge aus Glas, Stahl und Beton gegenüber. Dazwischen werben Industriebrachen um Käufer. Noch ist nicht ausgemacht, wer sich über Wasser halten wird.

Ein ganzer Kiez wartet darauf, zum „Agentenkiez“ zu werden. Auf Leute, die in Moskau fingierte Plutoniumkäufe einfädeln; die in Libyen „Sicherheitskräfte“ ausbilden; die in Bagdad hocken und angreifenden Amerikanern „extrem wichtige und wertvolle“ Informationen liefern; die Geschäftsleute ruinieren, die sich nicht als Spione einspannen lassen wollen; die Journalisten bespitzeln. Es werden ruhige Mieter sein, viel auf Reisen, selten daheim, denn es geht um Dinge „von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland“. Es geht um Macht. Über den Rohbauten sieht man an manchen Tagen ein geisterhaftes Flirren in der heißen Luft. Einen Wirbel, als flösse hier Historisches zusammen, als wäre ein sehr altes Deutschland eben doch noch nicht ganz verweht.

Nein. Natürlich nicht. Es ist einfach wirklich nur sehr heiß an diesem Tag und die Luft sehr blau. Es gibt nichts zu sehen.