Blumige Sturmspitze

NORDKOREA Superstars auf Kultkurs

VON UWE SCHMELTER

Pjöngjang besitzt ausgezeichnete Sportstätten, etwa die „Sportstadt“ im Westen, den Eissportpalast im Zentrum, das Kim-Il-Sung-Stadion und schließlich das gigantische 1.-Mai-Stadion mit über 150.000 Sitzplätzen. Auf der internationalen Bühne hingegen ist die Rolle Nordkoreas eher bescheiden. Von Olympiamedaillen abgesehen, war der größte Erfolg lange Zeit das Erreichen des Viertelfinals bei der Fußball-WM 1966. Seitdem ist Fußball der populärste Massensport im Land: ausverkaufte Stadien, T-Shirts mit den Namen internationaler Stars und die systematische Talentförderung von Kindern und Jugendlichen. Der britische Dokumentarfilm „The Game of Their Lives“ (2002) über die Traumelf von 1966 gilt in Nordkorea als Kultfilm; 2010 zeigte das staatliche Fernsehen zum ersten Mal einen westlichen Spielfilm: „Kick it like Beckham“.

Mehr noch als die Männer haben aber die Frauen den nordkoreanischen Fußball populär gemacht. Die dreimalige Asienmeisterschaft sowie der Weltmeistertitel der U19 und U17 bescherten Nordkorea in den letzten 15 Jahren einen kometenhaften Aufstieg in die Oberliga des internationalen Frauenfußballs. Für die Regierung des Staats, der zu den isoliertesten der Welt gehört, ist die Frauennationalelf einer der wenigen erfolgreichen Instrumente für die positive Außendarstellung. Das ist erstaunlich, denn in Korea spricht man traditionell von „schönen Blumen“, wenn es um Frauen geht. Liebreiz und Anmut, hausfrauliches Geschick und die fürsorgende Rolle als Mutter stehen dabei nicht im Widerspruch zur gleichwertigen Arbeitskraft in Industrie und Verwaltung, an Schulen und Universitäten, im Regierungsapparat und im Militär. Nur mit der Kombination Frau und Fußball hatte man in beiden Koreas zunächst Probleme. Die „schönen Blumen“ mit Bubiköpfen, muskelbepackt und schlammverschmiert, aggressiv und kampfesmutig, mit Fußballerwaden am zierlichen Damenbein?

Längst aber haben die Fußballfrauen den Respekt ihrer Nation und der politischen Führung erworben. Unterschiede zu Deutschland? „Da besteht eine unheimliche Diskrepanz“, sagt die österreichische Filmemacherin Karin Macher, die vier nordkoreanische Fußballerinnen in „Hana, dul, sed?“ porträtiert hat; „in Nordkorea sind die Spielerinnen Superstars, die deutschen Weltmeisterinnen machen Werbung für Damenbinden.“ Wenn die Nordkoreanerinnen am 28. Juni in Dresden gegen die USA auflaufen, wird dies ihre Deutschlandpremiere sein.

Anfang April besuchte zum ersten Mal eine Delegation aus Fußballfunktionären und Parlamentariern Nordkorea. Die deutschen Gäste hatten ein Konzept dabei, um die WM-Teilnahme Nordkoreas zur Initialzündung für weitere Zusammenarbeit zu machen. Jedes Jahr soll ein Wanderpokal zwischen beiden Ländern ausgespielt werden. Zudem wurde ein Austausch von Mannschaften, Trainern und Schiedsrichtern vereinbart. Einige kleine, aber wichtige Schritte zum Dialog mit einem verschlossenen Land – dieses Mal ausgelöst durch „schöne Blumen“ auf beiden Seiten.

■  Dr. Uwe Schmelter, geboren 1945, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Musikwissenschaften. Er war u. a. Regionalleiter der Goethe-Institute in Ostasien. Seit 2010 lebt er als freier Berater in Berlin