Kein Freund, kein Helfer

Überraschend hat das Lübecker Landgericht zwei Polizisten zu einer milden Bewährungsstrafe verurteilt. Sie hatten den Unfalltod eines Schülers verschuldet. Der Staatsanwalt will jetzt mit Rechtsmitteln den Freispruch der Polizisten erreichen

Eine weitere tragische Komponente hat dieser Fall dadurch bekommen, dass die junge Frau, die Robert S. damals überfuhr, selbst in einem Verkehrsunfall zu Tode gekommen ist. Ihr eigenes Verfahren wegen fahrlässiger Tötung wurde im Januar 2006 eingestellt. Zum Unfallhergang hatte sie geschwiegen. In dem Prozess gegen die beiden Polizisten aber hätte sie als Zeugin aussagen müssen. 14 Stunden vor ihrer Vernehmung aber verunglückte Johanna H. selbst tödlich. Ob und welche weiteren Folgen ihre Verurteilung für die beiden Polizisten hat, ist nach Angaben des schleswig-holsteinischen Innenministeriums noch offen. Bisher waren sie nicht vom Dienst suspendiert. Wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, wird das eingeleitete Disziplinarverfahren fortgesetzt. Erst bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ab zwölf Monaten wäre eine Entlassung aus dem Dienst zwingend gewesen. EE

VON ELKE SPANNER

Im Prozess um den Unfalltod des 18-jährigen Robert S. hat das Lübecker Landgericht die beiden angeklagten Polizisten gestern überraschend zu Freiheitsstrafen von neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Überraschend nicht wegen der Beweislage gegen die Beamten – die hatten den Schüler im Dezember 2002 nachts volltrunken auf einer Landstraße ausgesetzt (taz berichtete). Unerwartet aber deshalb, weil sich trotz der Beweislage ein Freispruch abgezeichnet hatte: Neben dem Verteidiger hatte auch der Staatsanwalt Freispruch für die beiden Polizisten verlangt.

In jener Dezembernacht vor vier Jahren hatte Robert S., Schüler aus Lübeck, mit Freunden in der Diskothek „Ziegelei“ in Groß Weeden gefeiert und dabei in großem Maße Alkohol getrunken. 2,84 Promille, stellte der Rechtsmediziner später fest, hatte der Junge im Blut. Nachdem er die Disko verlassen hatte, stürzte er zunächst und verlor das Bewusstsein. Umstehende alarmierten die Leitstelle der Polizei, die einen Rettungswagen schickte. Als er wieder bei Bewusstsein war, weigerte sich Robert S., mit ins Krankenhaus zu fahren. Er lief los. Kurze Zeit später klingelte er an einem fremden Haus und beharrte darauf, dort zuhause zu sein.

Zum zweiten Mal in dieser Nacht wurde die Polizei wegen Robert S. alarmiert. Diesmal schickte die Leitstelle einen Streifenwagen mit den beiden nun angeklagten Beamten vorbei. Die nahmen Robert S. mit – und setzten ihn kurz darauf auf der Landstraße zwischen Bliesdorf und Lübeck aus. Robert S. wurde überfahren. Er starb noch am Unfallort.

Das Lübecker Landgericht hielt den 57 und 45 Jahre alten Beamten vor, dass sie ihre Sorgfaltspflicht gravierend verletzt hätten. Sie hätten die Desorientierung und Verwirrtheit des jungen Mannes bemerken „und daran denken müssen, dass ihm etwas zustößt bis hin zum Überfahren auf der schnurgeraden Straße“. Sie hätten erkennen müssen, dass der 18-Jährige „allein auf der Landstraße zu Fuß keine Chance hatte“.

Das aber hatten die beiden Beamten selbst geleugnet: Die hilflose Lage des volltrunkenen Jugendlichen, behaupteten sie, hätten sie nicht erkannt. Davon, dass Robert bereits eineinhalb Stunden zuvor bewusstlos zusammengebrochen war und in der Nacht bereits Kontakt zur Polizei und einem Notarzt hatte, hätten sie nichts gewusst. Sie hätten vorgehabt, den Jungen nach Hause zu seinen Eltern zu bringen. Unterwegs habe er jedoch darauf bestanden, auszusteigen. „Er hatte Angst, die Nachbarn könnten mitbekommen, wenn er von der Polizei nach Hause gebracht wird.“ Das allerdings stufte das Gericht als unglaubwürdig ein.

Geglaubt hat die Kammer den beiden hingegen, dass sie die hilflose Lage des Jungen nicht erkannt hätten. Damit ließ das Gericht auch den ursprünglichen Anklagevorwurf der „Aussetzung“ fallen, auf den eine Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren steht. Die beiden wurden nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Die Eltern von Robert S. zeigten sich unter Tränen zufrieden mit dem Urteil. „Unser Sohn würde noch leben, wenn die beiden sich richtig verhalten hätten“, sagte der Vater. Ihr Schicksal ist nicht nur tragisch. Der Fall wirft auch Fragen nach der Objektivität der Lübecker Staatsanwaltschaft auf, die von vornherein wie die Verteidigung der beiden Polizisten aufgetreten ist. Die Eltern des Getöteten mussten in vier Jahre andauerndem juristischem Kampf erst erzwingen, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt eine Anklageschrift geschrieben hat. Die selbst hatte keinen Grund gesehen, die Polizisten vor Gericht zu bringen: Die Beamten hatten damals zu Protokoll gegeben, Robert S. habe den Streifenwagen freiwillig verlassen, das hatte den Anklägern gereicht, die Akten zu schließen.

Die Eltern aber wollten einen Prozess und setzten diesen mit einer Klage durch: Das Oberlandesgericht (OLG) zwang die Staatsanwaltschaft, die Polizisten vor Gericht zu stellen. „Die Aussichten auf eine Verurteilung sind wahrscheinlicher als auf ihren Freispruch“, führte das OLG zur Begründung aus.

Roberts Eltern konnten daraufhin Hoffnung schöpfen, dass die Polizisten doch noch für den Tod ihres Kindes zur Verantwortung gezogen werden. Die Hoffnung machte die Staatsanwaltschaft ein erstes Mal in ihrem Plädoyer zunichte: Nach Abschluss der Beweisaufnahme forderte der Ankläger Freispruch, weil die Beamten nicht mehr als eine „moralische Schuld“ auf sich geladen hätten.

Dass die Kammer das anders sah, wird für die Polizisten zwar nicht einmal Konsequenzen haben: Erst ab einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten würden sie aus dem Dienst suspendiert. Trotzdem kämpft der Staatsanwalt weiter für sie. Direkt nach der Urteilsverkündung kündigte er an, mit Rechtsmitteln gegen die Verurteilung vorzugehen.