MEDITATIVES GEHEN
: 50 m in 2 min

Schrittlänge 64 Zentimeter, so werden Stufen berechnet

Ich warte auf die Bahn und gucke so rum. Ich gucke, wann sie kommt – zehn Minuten, gerade eine verpasst. Ich gucke, was neu ist hier auf dem Bahnsteig: Werbeplakate, darunter auch eins, auf dem ein Pfeil drauf ist, der Name eines Supermarkts sowie Weg- und Zeitangaben dorthin. „50 m“ steht da, „2 min“. Ich stutze, rechne, fünfzig durch zwei, das krieg ich noch hin im Kopf. Fünfundzwanzig Meter die Minute, das klingt irgendwie lahm. Halbe Minute zwölfeinhalb. Zehn Sekunden … jetzt hol ich doch mein Handy raus, tippe da rein und rechne es runter: Wie weit komme ich in einer Sekunde laut Werbeplakat? Null Komma vier zwei, sagt das Handy. 42 Zentimeter? Ich zweifle, rechne noch mal. Doch, doch, sagt das Handy.

Ich runzle die Stirn, schau wieder zur Anzeige; sieben Minuten hab ich noch, das zu testen. Nur wie? Mir fällt ein, was ein Freund, ein Exgärtner, mir beigebracht hat: Schrittlänge 64 Zentimeter, so werden Stufen berechnet, wie hoch sie sein dürfen, damit sie bequem zu ersteigen sind. Da vorne sind Stufen, zwanzig Stück, macht 12,80 Meter. Laut Werbung brauch ich dafür dreißig Sekunden. Ich fang an zu steigen, zähle dabei, aber weiter als zehn komme ich nicht. Ich bin viel zu schnell.

Mir fällt noch was ein, was der Exgärtner gesagt hat: ’ne Meditation, die es gibt, Laufmeditation, zehn Meter in dreißig Minuten. Hat mich schon immer fasziniert, der Gedanke; vielleicht probier ich’s endlich mal aus. Fünf Minuten habe ich noch. Prima, denk ich, so lange lass ich mir Zeit, eine der zwanzig Stufen wieder runterzukommen. Und das tu ich dann auch, ganz langsam heb ich mein Bein, lasse es schweben in der Luft, setze es auf, verlagere Gewicht. Voll anstrengend ist das und albern sieht’s auch aus, da bin ich mir sicher, aber zumindest weiß ich es jetzt: 50 m in 2 min ist doch nicht gelogen; das kriegt man hin, wenn man nur will. JOEY JUSCHKA