tom segev in der taz vor 11 jahren über die wahlen in israel
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taz: Shimon Peres hat die Wahl verloren. Warum?

Die Wahl ist vor allem ungemein knapp ausgefallen. Dies zeigt, daß die israelische Gesellschaft in ihrer Mitte gespalten ist: nicht nur zwischen Likud und Arbeitspartei, sondern in Fragen der Grundwerte. Den Ausschlag hat am ehesten das Fernsehduell zwischen Peres und Netanjahu gegeben.

Das Votum war nicht nur pro oder kontra Friedensprozeß, sondern auch eine Personenwahl?

Ja, zum Teil. Denn dies war ein recht amerikanischer Wahlkampf, konzentriert auf Medien und Personen. Und Peres, der seit fünfzig Jahren Politiker ist, gilt in Israel als jemand, von dem man besser keinen Gebrauchtwagen kaufen würde. Sein Image ist: intrigant, auch kulturvoll, aber ein Loser.

Wird der Friedensprozeß unter Netanjahu nun beendet?

Verlangsamung ja, Stillstand nein.

In den letzten Jahren hat sich die Gesellschaft radikal verändert: Nicht mehr das Kollektiv steht im Zentrum, sondern das Individuum, nicht mehr Armee und Nation, sondern Konsum. Das förderte die Erwartung, Israel würde friedensfähiger.

Bis gestern habe ich das auch gedacht …

Das heißt, daß die friedensfähige postzionistische Gesellschaft eine Illusion war?

Nein, gewiß nicht. Der Abzug der Armee aus Gaza ist fast ohne Widerstand abgelaufen. Das war nur möglich, weil Rabin gesagt hat: Die Existenz Israels ist nicht mehr in Gefahr. Das war ein revolutionärer Gedanke. Und Rabin haben die Leute das geglaubt. Israel wird weniger nationalistisch, weniger mythologisch, es wird pluralistischer und friedlicher. Aber dieser Prozeß geschieht natürlich nicht ohne Gegenbewegungen.

Weil die Wahl so knapp ausgegangen ist, wird bereits über eine Große Koalition spekuliert. Ein guter Vorschlag?

Nein. Eine Große Koalition bedeutet politische Lähmung.

Interview: SR, 1. 6. 1996