Die neue Gift-Kontrolle schafft Jobs

Heute tritt die Chemierichtlinie Reach EU-weit in Kraft. Damit werden erstmals rund 30.000 Substanzen überprüft, die längst auf dem Markt sind. Firmen stellen Experten ein, um die Anforderungen zu erfüllen. Verbraucherschützern reicht das nicht

Die Chemikalienverordung Reach (Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals) tritt heute EU-weit in Kraft. Ziel ist, rund 30.000 Stoffe erstmals auf ihre Auswirkung für Umwelt und Gesundheit hin zu überprüfen. Chemiefirmen werden dazu verpflichtet, ihre Stoffe anzumelden und Daten zur Unbedenklichkeit an eine EU-Agentur in Helsinki zu liefern. Das gilt aber nur für diejenigen Stoffe, von denen ein Unternehmen mindestens eine Tonne pro Jahr produziert. Das Verfahren ist langwierig: Bis 2018 sollen alle Stoffe, die auf dem Markt sind, untersucht sein. ROT

AUS LEUNA RICHARD ROTHER

An einem Tisch hantiert eine Laborantin mit einem Reagenzglas, eine andere gibt Messwerte in einen Rechner ein. Im Labor der Leuna-Harze GmbH, einem mittelständischen Unternehmen auf dem bedeutendsten Chemiestandort in Ostdeutschland, herrscht reger Betrieb. Lieferungen und Abwasser werden kontrolliert – und nun wird das europäische Chemikalienrecht Reach umgesetzt. Karin Bierögel, Qualitätssicherungschefin der Firma, seufzt: „Zunächst stellen wir eine Liste zusammen, welche unserer rund 300 Produkte wir vorregistrieren lassen.“

Das neue Chemikalienrecht, das jahrelang diskutiert und mehrfach abgeschwächt wurde, tritt heute EU-weit in Kraft. Besonders gefährliche Stoffe sollen durch sicherere Alternativen ersetzt werden – ob dies erreicht wird, ist aber fraglich. Ursprünglich hatte das EU-Parlament gefordert, solche Stoffe nur zuzulassen, wenn es keine Alternativen gibt. „Der EU-Rat hat jedoch auf Druck der Industrie diese Regelung verwässert“, kritisiert Rüdiger Rosenthal, Sprecher des Umweltverbandes BUND. Nur ein Teil dieser Chemikalien solle ersetzt werden, für den Rest solle es ausreichen, wenn die Industrie angebe, sie könne das Risiko kontrollieren.

Die Reach-Umsetzung überwacht eine neue Behörde in Helsinki. Diese müsse unabhängig von der chemischen Industrie arbeiten, fordert die Umweltorganisation WECF – Women in Europe for a Common Future. Deren Expertin Sonja Haider sagt: „Immer noch muss für mehrere tausend chemische Stoffe kein Nachweis über deren Ungefährlichkeit erbracht werden.“ Und Krebs erregende Stoffe blieben in Verbraucherprodukten erlaubt, so Verbraucherschützer.

Die Industrie habe ihre Produkte im Griff, meint hingegen Holger Henning, der Entwicklungsmanager bei Leuna-Harze. Schwieriger sei dies bei den Endverbrauchern. „Jeder kann im Baumarkt Chemikalien erwerben und zu Hause zusammenmischen.“ Ein sachgerechter Umgang sei da kaum kontrollierbar.

Die Industrie nehme dennoch Reach in Angriff. Die Verordnung bedeute eine Umkehr der Beweislast, jetzt müsse die Industrie die Ungefährlichkeit ihrer Stoffe nachweisen. „Das bedeutet einen erheblichen Mehraufwand für uns“, sagt Henning. So gebe es unlogische, bürokratische Vorgaben. Das Unternehmen produziert vor allem Epoxidharze und erwirtschaftet mit rund 130 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von rund 100 Millionen Euro, Tendenz steigend. Hauptabnehmer sind die Bauchemie, die Lackindustrie und die Windkraftindustrie, die die Harze zur Herstellung der Rotorblätter benötigt.

„Reach kann sehr teuer werden“, meint auch Eberhard Schmidt, Sicherheitschef der Infraleuna GmbH, die in Leuna die Infrastruktur bereitstellt. Vor allem für kleine und mittlere Firmen werde es problematisch. Ein einheitliches Zulassungssystem sei vernünftig, ein Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA und Asien aber nicht.

Eine Befürchtung der Industrie scheint sich bislang nicht zu bestätigen: dass Reach Arbeitsplätze kostet. Im Gegenteil. In der Harze-Fabrik in Leuna überprüft man die Neueinstellung eines Mitarbeiters, um die Reach-Anforderungen zu erfüllen, und die BASF in Ludwigshafen schafft 15 neue Stellen für Toxikologen. „Die sind derzeit schwer zu finden“, sagt der BASF-Chef für Produktsicherheit, Martin Kaysers. „Wir unterstützen die Ziele von Reach, einen besseren Verbraucher- und Umweltschutz zu erreichen.“ Reach koste den Konzern rund 50 Millionen Euro jährlich. In der Harze-Fabrik in Leuna kann man die Reach-Kosten nicht abschätzen. Eines aber weiß Manager Henning: „Es wird weniger Stoffe geben.“