Verronnenes Glück

URAUFFÜHRUNG Tolstois „Anna Karenina“ feierte Premiere am Goetheplatz – als Musiktheater

Nadine Lehner ist als Anna stimmlich stark und extrem präsent

„Sehnsucht ist die einzje Energie“, hieß es einst bei den Einstürzenden Neubauten. Was, wie wir jetzt wissen, nur bedingt zutrifft.

Armin Petras’ Fassung von Leo Tolstois „Anna Karenina“ nämlich, die mit neuer Musik von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel jetzt im Theater am Goetheplatz Uraufführung feierte, arbeitet sehr anschaulich heraus, dass es da noch andere Faktoren gibt. Auch sie fahren dem Streben nach individuellem Glück wirkungsvoll in die Parade. Immer wieder sehen wir auf großer Leinwand stumme Zeugen der Industriegesellschaft, und Karenin, der gehörnte Gatte Annas und Vater des gemeinsamen Sohnes, verzweifelt nicht allein am Verlust der Frau, sondern muss sich auch mit den sozialen Konsequenzen der Trennung auseinandersetzen. Ganz modern übrigens in dieser Fassung, die Petras selbst inszeniert hat, mit einem ausgedehnten Zug durch die Gemeinde – Endstation „Beverly Bar“.

Dass auch Anna nicht glücklich wird, wissen wir natürlich schon seit Tolstoi. Der Sohn ist beim Vater, der neue Liebhaber ein eitler Windbeutel. Anstatt also die neue Freiheit in vollen Zügen zu genießen, stürzt sich Anna in den Tod. Nadine Lehner verkörpert das in einer veritablen Tour de force, stimmlich stark, darstellerisch extrem präsent. Thomas Zielke als Karenin ist der kongenial besetzte Konterpart, auch sonst gibt es an diesem Abend schlichtweg nichts auszusetzen. Die Musik von Kürstner und Vogel arbeitet mit Motiven der Minimal Music, zitiert barocke Motive und spiegelt facettenreich die Seelenzustände der Figuren, deren Glück stets so schnell verrinnt, wie es entsteht. ANDREAS SCHNELL

Wieder am: 1., 12., 20. November, 19.30 Uhr, Theater Bremen