In die Mangel genommen

Am Rande des Asem-Gipfels in Hamburg wird eine Gruppe Schüler offenbar ohne Anlass von der Polizei zusammengeknüppelt und im so genannten „Hooligan-Knast“ festgehalten. Die Eltern der Minderjährigen wurden erst nach Stunden informiert

Den so genannten Hooligan-Knast hat die Hamburger Polizei eigens für die Fußball-Weltmeisterschaft im Mai vorigen Jahres eingerichtet. Für 300.000 Euro wurde dazu eine alte Waschhalle für Streifenwagen im Hamburger Westen zu einem Zellentrakt umgebaut, der seither als „Gefangenensammelstelle“ fungiert. Insgesamt 150 Personen können in den großen vergitterten Räumen untergebracht werden. Seit der WM ist der Hooliganknast als Dauereinrichtung weitergeführt und vor allem nach Demonstrationen genutzt worden. Die Hamburger Grünen hatten im vergangenen Jahr die Einrichtung eines eigenen Polizeigefängnisses kritisiert. Ihre Innenexpertin Antje Möller befürchtete, dass die Maßnahme des „schnellen Wegsperrens“ bei Krawallen zum „Basisinstrument“ der Ordnungshüter werden könnte. Nach dem neuen Hamburger Polizeigesetz vom Juni 2005 können mutmaßliche „Randalierer“ bis zu 14 Tage lang in Unterbindungsgewahrsam festgehalten werden. Dafür bedarf es aber einer richterlichen Haftüberprüfung. Diese muss nach einer Ingewahrsamnahme „unverzüglich“ eingeholt werden.  KVA

VON KAI VON APPEN

Nach der vorzeitigen Auflösung der Demonstration gegen den Asia-Europe-Gipfel in Hamburg dürfte es zu Wochenanfang mancherorts turbulent zugegangen sein: wahllose Polizei-Übergriffe auf abwandernde Demonstranten einerseits, unkontrollierte Randale andererseits. Nachdem der parteilose Hamburger Innensenator Udo Nagel Parolen wie „Null Toleranz“ und „niedrigschwelliger Einsatz“ als Leitbild an seine Truppen ausgegeben hatte, kann es kaum wundern, dass dabei auch Unbeteiligte zu Schaden kamen. So hat eine Gruppe Gymnasiasten offenbar am Pfingstmontag vor dem Stadtteilzentrum „Rote Flora“ eine besondere Lektion in Sachen Gemeinschafts- und Staatsbürgerkunde bekommen: Zusammengeknüppelt und zum Teil verletzt fanden sich die 16-jährigen Heranwachsenden im so genannten Hooligan-Knast im Stadtteil Bahrenfeld wieder.

Max Schulz* hatte mit seiner Mutter Mara* und einigen Mitschülern sowie mehreren Lehrern an der Demo gegen den Asem-Gipfel teilgenommen. Seine Mutter hatte sich jedoch frühzeitig abgesetzt. „Das ewige stop-and-go im Wanderkessel konnte ich nicht mehr ertragen“, sagt sie im Rückblick. Die Schüler jedoch waren unternehmungslustiger: Im Anschluss an die Demonstration wollte sich die Clique vor der Roten Flora treffen. Als Max mit seinen Mitschülerinnen Bea* und Svenja* auf der Treppe des autonomen Stadtteilzentrums saßen und auf weitere Mitschüler warteten, eskalierte gegen 17.30 Uhr überraschend die Situation. „Die Autonomen haben Steine geworfen“, sagt Bea. „Die Polizei hat Wasserwerfer eingesetzt.“

Um sich vor den Wasserstrahlen zu schützen, pressen sich die Schüler hinter einem Pfeiler an die Wand des Gebäudes. Der schmächtige 16-jährige Max rühmt sich ein wenig damit, sich zum Schutz vor seine beiden Mitschülerinnen gestellt zu haben. „Doch die Polizei hat weiter gezielt auf uns und die Leute auf der Treppe geschossen, die eigentlich nur Zuschauer waren“, erinnert sich Bea. Von der Treppe vor der Flora aus seien nämlich keine Gegenstände in Richtung Polizei geworfen worden.

Das Bein gestellt und zu Boden geworfen

Von Beamten und über den Polizei-Lautsprecher sei dann dazu aufgefordert worden, den Bereich in Richtung des benachbarten Quartiers Eimsbüttel zu verlassen. Dem seien die drei dann auch nachgekommen – im Laufschritt. „Dann ist mir ein Bein gestellt worden, ich habe nur noch Schläge verspürt und dass ich umzingelt war“, erinnert sich Bea. Svenja warf sich Momente später lieber selbst zu Boden, „damit sie mich mich nicht schlagen und hinwerfen“. Max sagt, er habe daraufhin versucht, den Einsatzleiter ausfindig zu machen, aber nur eine harsche Antwort bekommen. „Den werdet ihr noch kennen lernen“, habe ein offenbar aus Baden-Württemberg stammender Polizist der Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit (BFE) gesagt.

Dann, so Max weiter, sei es auch ihm an den Kragen gegangen. Obwohl er im Gegensatz zu Bea und Svenja, die weggerannt seien, sich anfangs im Schritttempo wegbewegt habe, sei er plötzlich von hinten geschubst worden. „Dann bin ich auch gelaufen, weil die Polizeikette mit Knüppeln und Schildern immer näher rückte.“ Auch er sei zu Boden gestoßen worden. „Ich hab‘ nicht mehr viel mitbekommen. Ich wurde nur noch verprügelt und die waren in der Überzahl.“ Max erlitt Prellungen und Schürfwunden an Bein, Kniescheibe und Oberkörper, Bea trug eine Nierenprellung davon.

Alle drei landeten eine Stunde Später im so genannten Hooligan-Knast (siehe Kasten). „Es war auf der Wache nicht klar, warum wir festgenommen wurden“, berichtet Svenja. Obwohl es sich bei den Festgenommen offensichtlich um Schüler handelte, wurden ihre Eltern nicht informiert. „Meine Mutter hat ohne Ende auf dem Handy angerufen“, erinnert sich Max, der sein konfisziertes Mobiltelefon im Nebenraum klingeln hörte. Sogar der Rechtsanwalt Dirk Audörsch, der Max’ Festnahme beobachtet hatte und intervenieren wollte, bekam telefonisch zur Antwort, „der Schüler wolle keine anwaltliche Vertretung“, so Audörsch zur taz. Wir sind gar nicht gefragt worden“, sagt indes Max. Die Forderung der Jugendlichen, ihre Eltern verständigen zu dürfen, seien kategorisch abgelehnt worden. „Um 20 Uhr teilte die Polizei uns mit, dass unsere Eltern alle informiert worden seien“, sagt Svenja. „Das stimmt nicht“, erwidert Max’ Mutter. „Ich habe nach 22 Uhr einen Anruf vom Landeskriminalamt bekommen, dass mein Sohn zur Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommen worden ist und ich ihn abholen kann.“

Im Hooligan-Knast ging es offenbar kaum humaner zu. Bea musste sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Auch Max berichtet, dass ein 14-Jähriger lange Zeit in Unterwäsche in einer Zelle gesessen habe und nur eine Decke umhängen durfte. „Wenn wir etwas zu trinken haben wollte, ist das lange Zeit verweigert worden“, sagt Max. Selbst als einer der Mitinsassen sagte: „Ich hab’ Nierensteine, ich brauch etwas zu trinken“, habe das zunächst nur Achselzucken bei den Beamten bewirkt. Erst gegen 20 Uhr sei endlich ein Polizeiarzt erschienen und habe die Verletzten versorgt.

Für Max’ Mutter Mara war die Ungewissheit beim Eintreffen in der Gefangenensammelstelle nicht am Ende. Keiner der Beamten habe sagen können, was den Schülern eigentlich vorgeworfen werde. „Ich habe eine Stunde auf der Wache gesessen, habe immer wieder gefragt, wann mein Sohn freigelassen wird“, sagt Mara Schulz. Man habe sie vertröstet: Er komme gleich. Dann habe sich herausgestellt, dass er schon freigelassen worden war. „Sie haben mir ihn nicht in die Erziehungsgewalt übergeben, sondern einfach vor die Tür gesetzt.“ Dort habe Max eine halbe Stunde lang im Regen gestanden. „Wir waren erst um zwei Uhr zu Hause, weil kein Bus mehr fuhr – und am nächsten Tag war immerhin Schule“, entrüstet sich Schulz: „Es ist ein Skandal, wie mit harmlosen Schülern umgegangen wird.“

Schon vor dem Asem-Gipfel hatten die Jugendlichen mehrfach mit dem totalitären Staatsgebahren zu tun. So seien sie im Stadtteil St. Georg mehrfach von der Polizei angehalten worden, die dort das Tagungshotel „Atlantic“ sicherte. „Sie passen ins Störer-Schema“, sagten die Beamten ihnen und wollten der Clique gar Innenstadt-Verbot erteilen. „Wir wohnen doch in St. Georg“, entrüstete sich Mitschülerin Elke*. Max’ Mutter fühlt sich ob der angedrohten „Aufenthaltsverbote“ – nur „weil jemand ein schwarzes T-Shirt trägt“ – gar an ihre eigene Sozialisation in der DDR erinnert: „Ich hatte auch einmal Stadtverbot“, sagt sie, „weil ich Punkerin war“. Das habe damals in einer DDR-Großstadt nicht in das sozialistische Weltbild gepasst.

Nur bedingt erfolgreiche Einschüchterung

Die Einschüchterung der Pennäler hat nur bedingt Wirkung gezeigt. Zwar sagt Bea, die noch an ihren Nierenprellungen leidet: „Ich fahre jetzt nicht mehr nach Rostock.“ Max und seine Mutter Mara aber werden sich, wie auch der Rest der Clique, dennoch heute auf den Weg machen. „Wir“, sagt Mara Schulz:, „fahren trotzdem!“

*Namen geändert