taz-serie „wie retten sie die welt?“. heute: lesepatin jana brandes
: „Vorlesen hat viel mit Nähe und gegenseitigem Zuhören zu tun“

Auf dem G-8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm treffen sich die Mächtigen der Welt, um zu besprechen, wie es mit unserem Erdball weitergehen soll. Antworten – das ist jetzt schon klar – werden sie keine finden. Sie brauchen Nachhilfe. „Wie retten Sie die Welt?“, fragt die taz deswegen bis zum Gipfeltreffen jeden Tag eine/n interessante/n Berliner/in.

„Ich renne nicht den ganzen Tag mit dem Gedanken durch die Gegend, die Welt zu retten. Ich will auch nicht ständig gelobt werden. Anerkennung ist schön, aber es ist noch besser, wenn Leute, die sich vorher noch nie engagiert haben, durch mich darüber nachdenken, was sie tun könnten.

Als freie Journalistin habe ich mal einen Artikel über die Aktion Leselust der Berliner Bürgerstiftung geschrieben. Bei dem Projekt können Leute, die sich für Kinder begeistern und auch gerne vorlesen, in Kindergärten und Schulen gehen und Vorlesestunden halten. Es geht hauptsächlich um die Förderung von Kindern aus Migrantenfamilien, die zu Hause selten oder gar kein Deutsch sprechen. Ich fand das Projekt sensationell und habe mir überlegt, dass ich nicht nur darüber schreiben, sondern auch selbst mitmachen will.

Seit Februar vergangenen Jahres bin ich jetzt ehrenamtliche Lesepatin. Jeden Freitagvormittag fahre ich für anderthalb bis zwei Stunden in die Kita „Haus für Kinder“ in Schöneberg. Inzwischen ist der Andrang sehr groß. Alle wollen auf einmal Bücher lesen, obwohl sie sich früher nie dafür interessiert haben. Jeden Freitag betreue ich drei bis vier Gruppen mit rund fünf Kindern. Wir sitzen in einem Kreis und suchen ein Buch aus.

Wir lesen ganz verschiedene Geschichten. Eben gerade habe ich „Benjamin Blümchen wird Feuerwehrmann“ vorgelesen.

Vorlesen ist schon etwas ganz Besonderes, das hat etwas mit Nähe, Aufmerksamkeit und gegenseitigem Zuhören zu tun. Mittlerweile ist auch eine persönliche Bindung zwischen mir und den Kindern entstanden.

Es geht nicht mehr nur um das Lesen. Die Kinder merken, dass sie wahrgenommen werden, dass ihnen auch mal jemand zuhört, und sie haben teilweise große sprachliche Fortschritte gemacht. Sie fühlen sich ermutigt, auch mal von sich aus zu erzählen. Ich glaube, das bringt ihnen eine ganze Menge.

Ohne Bezahlung zu arbeiten ist für mich kein Problem, ich hätte sogar ein schlechtes Gewissen, mich für die Lesetätigkeit bezahlen zu lassen. Das wäre so, als würde ich einer Freundin sagen, sie könne mir von ihren Problemen erzählen – und ihr hinterher eine Rechnung für die Beratung stellen. Ich werde oft gefragt, was ich für die Lesestunden bekomme. Nichts Materielles, aber das ist auch gut so. Gerade im sozialen Bereich ist ja auch einfach kein Geld vorhanden.

Das bisschen Zeit, was ich mir dafür abknapse, habe ich übrig. Letztendlich gibt mir die Arbeit auch viel. Kinder können einem einen ganz anderen Blickwinkel auf die Welt zeigen. Da merkt man erst, mit was für einem Tunnelblick man als Erwachsener durch die Welt läuft.

Viele meiner Freunde und Bekannten sind immer ganz begeistert von meiner ehrenamtlichen Tätigkeit. Manche wollen die Welt verbessern, wissen aber nicht, wie. Dabei ist es gar nicht so schwer, sich für andere einzusetzen. Eigentlich kann jeder ein bisschen Zeit opfern, um sich zu engagieren. Ich bin zwar nicht großartig politisch engagiert, versuche aber, im Kleinen zu helfen. Ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und kann einfach nicht wegschauen.

Vielleicht sollte ich auch einmal eine Leserunde für Erwachsene anbieten. Zum Beispiel für die Damen und Herren der G-8-Runde. Denen würde ich dann auch eine Kindergeschichte vorlesen. Mit einer Moral am Ende.“

PROTOKOLL: NANA GERRITZEN

Jana Brandes, 31, ist freie Journalistin und PR-Beraterin. Sie arbeitet ehrenamtlich als Lesepatin