Nigers Regierung stolpert über Korruption

Entwicklungshilfe für Grundschulprogramm veruntreut – jetzt kippt das Parlament die Regierung per Misstrauensvotum

BERLIN taz ■ Seltenes Ereignis in einer afrikanischen Mehrparteiendemokratie: Per Misstrauensvotum hat das Parlament des Sahellandes Niger am Donnerstagabend seine Regierung gestürzt. Grund: ein Korruptionsskandal bei der Verwendung von Entwicklungshilfe.

„Es ist eine totale Überraschung, denn die Regierung hat eine sehr große Mehrheit im Parlament“, sagte ein Minister. Premierminister Hama Amadou reichte gestern früh seinen Rücktritt ein. Wenn der Staatschef innerhalb von 45 Tagen keine neue Regierung zustande bringt, müssen Neuwahlen stattfinden. Das bisherige Regierungsbündnis, gewählt 2004, verfügt eigentlich über 88 der 133 Sitze in Nigers Parlament. Das Misstrauensvotum kam mit 62 von 113 abgegebenen Stimmen durch.

Hintergrund ist eine Affäre über den Verbleib von umgerechnet 6 Millionen Euro aus Programmen zur Grundschulbildung. Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt mit einer der geringsten Einschulungsraten. Der marode Zustand des Bildungswesens hat schon öfter Opposition gegen die Regierung mobilisiert. Dass angesichts der geringen Mittel des Staates immer mehr von Saudi-Arabien finanzierte Koranschulen entstehen, ist ein Alarmsignal, dem die Geberländer mit verstärkter Hilfe begegnen wollten.

2002 gab sich Niger einen Zehnjahresplan für das Bildungswesen, um bis 2013 allen Kindern des Landes Grundschulplätze anbieten zu können – vor allem Mädchen gehen im sehr konservativen muslimischen Niger heute nur selten zur Schule. Damit solle die Alphabetisierungsrate der erwachsenen Bevölkerung Nigers von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 38 Prozent im Jahr 2013 gesteigert werden. Gelder aus der internationalen Entwicklungshilfe – auch Deutschland ist ein Geberland Nigers – wurden dafür in einem Pool gesammelt, aus dem die Zentralbank dem Bildungsministerium Mittel zur Verfügung stellt.

Aber eine Buchprüfung des Programms im Jahr 2006 ergab, wie der Misstrauensantrag ausführt, „schwere Versäumnisse im Finanzmanagement“. So habe das Bildungsministerium wissentlich fiktive Rechnungen für nie gelieferte Lehrmaterialien bezahlt oder überhöhte Preise gezahlt. Nutznießer dieses Systems waren, wie die nigrische Zeitung Le Républicain im August 2006 aufdeckte, Unternehmen im Besitz von Unterstützern der Regierungspartei MNSD (Nationalbewegung für Gesellschaft und Entwicklung). Sie hätten erst auf Ausschreibungen mit konkurrenzlos billigen Angeboten geantwortet, dann den Zuschlag erhalten und danach ihre Preise erhöht. Das Durchschnittsmaß der Aufschläge betrage 239 Prozent, so der Prüfbericht. Es seien auch für Geländewagen des Bildungsprogrammes anstandslos überhöhte Benzinabrechnungen bezahlt worden. Laut dem Buchprüfungsbericht müsste jeder dieser Wagen täglich mehr als 1.000 Kilometer zurückgelegt haben.

Nach Vorlage des Prüfberichts blockierten die Geberländer rund 40 Millionen Euro Hilfe für Niger. Zwei Minister wurden abgesetzt und wegen Korruption angeklagt. Die sogenannte „MEBA-Affäre“ hält seitdem Nigers Politik in Atem. Das Land ist ohnehin seit einigen Monaten wegen neuer Rebellenaktivitäten unter den Tuareg-Nomaden im uranreichen Norden verstärkten Spannungen ausgesetzt.

Es half Premierminister Amadou nichts, dass er im Parlament behauptete, er habe von den Unregelmäßigkeiten nichts gewusst. Immerhin legte er nach seiner Niederlage demokratischen Geist an den Tag. „Wir sind Demokraten und wir wollen, dass die Demokratie weitergeht“, sagte er. „Ich beglückwünsche die Opposition, die einen großen Coup hingelegt hat.“DOMINIC JOHNSON