Bedeutender Fang

AUS SPLIT ERICH RATHFELDER

Als der ehemalige serbisch-bosnische General Zdravko Tolimir gestern Nachmittag vom Flughafen in Sarajevo in Richtung Den Haag abhob, hat er wohl das letzte Mal bosnische Erde gesehen. Denn der seit Jahren vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesuchte bosnische Serbe, dem es in den letzten 12 Jahren immer wieder gelungen war, seinen Häschern zu entkommen, ist todkrank. Er hat Krebs. Und angesichts der schwerwiegenden Anklage, an dem Genozid in Srebrenica im Juli 1995, dem mehr als 8.000 bosnische Männer zum Opfer fielen, an führender Stelle teilgenommen zu haben, ist ein hartes Urteil vom Den Haager Kriegsverbrechertribunals zu erwarten.

Der 1948 in der westbosnischen Stadt Glamoč geborene Zdravko Tolimir war einer der sieben Stellvertreter des nach wie vor untergetauchten Oberbefehlshabers der serbisch-bosnischen Streitkräfte, Ratko Mladić. Und als solcher mit der Organisation des Völkermordes in Srebrenica und Žepa befasst. Er rangiert unter den noch von Den Haag gesuchten sechs Kriegsverbrechern nach Mladić und dem politischen Führer der Serben, Radovan Karadžić, an dritter Stelle.

Damit ist den Fahndern ein großer Fisch ins Netz gegangen. Bemerkenswert ist, dass die serbisch-bosnische Polizei zum ersten Mal seit Kriegsende 1995 einen der „ihren“ im Auftrag des UN-Tribunals verhaftet hat. Bisher hatten die Behörden des serbischen Teilstaates in Bosnien und Herzegowina beharrlich alle Anstrengungen der EU-Polizei und der internationalen Truppen, die im Lande stationiert sind, die Kriegsverbrecher zu verhaften, unterlaufen.

Der Zugriff auf Tolimir war offenbar gut vorbereitet. An der Grenzstation bei Bratunac nahe Srebrenica wollte Tolimir von Serbien aus in die serbische Teilrepublik in Bosnien überwechseln. In Begleitung eines serbischen Polizisten näherte er sich der Grenze. Offenbar glaubte der ohne gültige Papiere reisende Exgeneral, er könnte wie früher von Polizisten ungehindert die Kontrollen passieren. Doch dann nahmen ihn die Grenzbeamten fest und beförderten den Überraschten nach Banja Luka, wo er den Ermittlern des UN-Tribunals übergeben wurde. Die brachten ihn noch am Donnerstagabend mit einem Hubschrauber nach Sarajevo. Gestern Nachmittag sollte er nach Den Haag überstellt werden.

Mit der Aktion wollen die Regierungen in Serbien wie auch in der serbischen Teilrepublik zeigen, dass sie, wie von der EU gefordert, endlich mit dem UN-Tribunal in Den Haag zusammenarbeiten wollen. Brüssel hat seit Monaten klargestellt, dass es ohne diese Zusammenarbeit keine weiteren Verhandlungen mit der EU über eine Assoziierung Serbiens geben wird.

Geheimdienstexperten und Ermittler des UN-Tribunals gehen davon aus, dass die gesuchten Kriegsverbrecher in der Vergangenheit oftmals zwischen Serbien und der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina pendelten. Die Umstände der Verhaftung Tolimirs lassen vermuten, dass in den Polizeikräften und Grenzorganen beider Seiten Unterstützer der Gesuchten tätig sind. Dass kurz vor Tolimirs Ankunft das Personal am Grenzübergang ausgetauscht wurde, lässt darauf schließen.

Nicht nur für die neue Regierung in Serbien, sondern vor allem für den Ministerpräsidenten der Republika Srpska in Bosnien, Milorad Dodik, kommt die Verhaftung Tolimirs wie gerufen. Denn in der internationalen Gemeinschaft mehren sich die Stimmen, Milorad Dodik, von seinem Posten abzusetzen. Dodik weigert sich nämlich, einer neuen Verfassung in Bosnien und Herzegowina zuzustimmen, die einen Machttransfer von der serbischen Teilrepublik auf den Gesamtstaat zur Folge hätte. Vor allem behinderte er die Gründung einer multinationalen Polizei und beharrt auf der Existenz einer serbisch-bosnischen Polizei, obwohl diese Polizei bisher mit dem Netzwerk der Kriegsverbrecher verflochten war. Mit der Verhaftung von Zdravko Tolimir wolle er jetzt die Funktionsfähigkeit „seiner“ Polizei beweisen, hieß es aus diplomatischen Kreisen in Sarajevo.