Method Löffeling

GROSSSCHAUSPIELEREI Der Untergang des Mümmelmimen Bruno Ganz

Als BKA-Präsident bleibt Ganz allein sitzen und muss schwersymbolisch die Suppe auslöffeln

Vergessen wir für einen Moment Hitler. Also nicht Hitler himself, sondern Bruno Ganz als Hitler. Inzwischen erzählt der Schweizer Großschauspieler ja jedem, der es nicht hören will, dass er die Rolle in Bernd Eichingers „Der Untergang“ besser nicht angenommen hätte, weil ihm „dieses Ding lange anhängen würde“. Tatsächlich ist der Brachialnaturalismus von Bruno Ganz längst in die Parodie gekippt. Im Internet kursieren hunderte Hitler-Filmchen mit Ganz, die immer neue komische Bedeutungen erhalten. Nur die Briten sind von Bruno Hitler begeistert, haben sie doch traditionell eine Nazi-Macke. So lobt der britische Historiker Ian Kershaw im Guardian die Ganz’sche Hitler-Darstellung als „superb“ und „brilliantly“: „Ganz sei in seiner Darstellung sehr nahe an den wirklichen Hitler herangekommen, auch wenn sich der Diktator zum Nudelessen niederließ“, fasst der Spiegel die Lobrede Kershaws zusammen.

Eigentlich ist es Drehbuchautoren verboten, Szenen zu schreiben, die Schauspieler beim Essen zeigen. Sitzende und labernde Darsteller sind der Tod jeder Handlung. Bruno Ganz aber isst gern in seinen Rollen. Kein Film, in dem er nicht irgendwo thront und etwas in sich hineinschiebt. Wobei er eigentlich nicht isst und auch nicht „essen“ spielt. Nein, ein Bruno Ganz, der zelebriert das Essen. In einer zentralen Szene des „Untergangs“ hält Ganz als Hitler knorzige Volksreden bei einem Mahl mit der Bunkerbesatzung und stochert in einer grün-gelben Masse herum, die aussieht wie Grünkohl mit Kartoffelbrei – jedenfalls nicht wie Nudeln mit Tomatensoße, die Hitlers Diätköchin dem Diktator angeblich nach Zeugenaussagen in den letzten Wochen ständig zubereiten musste. Hoffentlich entsteht daraus kein Historikerstreit.

Das Tellergestochere aber zieht sich über Minuten hin. Drei, vier, fünf Mal setzt der mümmelnde Ganz an und führt die halbleere Gabel zum Mund, um dann mitten in der Bewegung zu stoppen und sie wieder sinken zu lassen, und jedes Mal bangt der Betrachter mit und öffnet stellvertretend den Mund, bis er sich ängstlich fragt: „Wird der Führer verhungern?“

Neulich war der essende Ganz dann zu bewundern bei der Fernsehausstrahlung des RAF-Films „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Ganz spielt in der Räuber-und-Gendarm-Pistole den Präsidenten des Bundeskriminalamtes Horst Herold. Dafür hatte Drehbuchautor Bernd Eichinger einen putzigen Einfall: Herold empfängt in Wiesbaden einen Abgesandten des Innenministers aus Bonn, um ihm die Lage zu erklären. Damit Ganz die schillernde Persönlichkeit eines Horst Herold zwischen Dämonie und Kleinbürgerlichkeit demonstrieren kann, tischt er als BKA-Präsident für sich, seinen Assistenten und den Bonner Beamten ein Süppchen auf, zwischen den dreien steht während des hochbrisanten politischen Gesprächs ein Siebzigerjahre-Suppentopf.

Schließlich verabschiedet sich der Bonner Beamte und wird hinausbegleitet. Herold beziehungsweise Ganz bleibt allein am Tisch sitzen und muss schwersymbolisch die Suppe auslöffeln. „Löffeln“ ist allerdings an dieser Stelle das falsche Wort. Es ist eher ein „Method Löffeling“, das Bruno Ganz vorführt. Gedankenverloren, als ob das schwerwiegende Gespräch in seinem Kopf nachhallt und ihm erst jetzt die unvermeidlichen Konsequenzen bewusst werden, blickt Ganz auf den Teller, während er bedächtig mit dem Löffel zwei, drei und gefühlte vierzig Runden in der Suppe herumrührt, bevor er einen Hauch von Flüssigkeit an und in den Mund führt …

Der arme Mann! Bruno Ganz kann noch nicht einmal mehr normal essen. Alles muss bedeutungsreich überladen sein – selbst ein einfacher Vorgang wie essen. Als wenn er das Suppelöffeln in derselben New Yorker Schauspielschule gelernt hätte, in der schon Bedeutungshubern wie Marlon Brando ihr „Method Acting“ eingebläut wurde.

Derzeit dreht Bruno Ganz einen neuen Film, in dem er den ehemaligen Asienkorrespondenten des Spiegels, Tiziano Terzani, verkörpert. Der hatte kurz vor seinem Tod eine breite Fangemeinde um sich geschart, indem er einen Mix aus plump-philosophischen und esoterisch-religiösen Sentenzen auf sein Publikum niederregnen ließ, das gelangweilt von der westlichen Zivilisation jede asiatische Schwurbellehre aufsaugt. Was wird Bruno Ganz als Tiziano Terzani wohl essen? Als Hitler Brei, als Herold Suppe – da bleibt nur Reis. Ja, das wollen wir unbedingt sehen, wie Bruno Ganz minutenlang in eine Schale starrt, um dann den Reis einzeln zu vertilgen – Korn für Korn, Schnarch für Schnarch. Wir empfehlen: Einfach mal wieder richtig spachteln! MICHAEL RINGEL