Treffpunkt im Freiraum

In der Ausstellung „der 35ste spieltag“ reflektieren 17 Künstler in ihren Werken die Bundesligasaison des SV Werder Bremen. Der „Saisonrückblick der besonderen Art“ im Bremer Güterbahnhof ist sehr zum Schmunzeln – große Kunst aber ist nicht entstanden

Wo das Künstlerische im Fußball zu finden wäre? Da waren sich Reporter und Fans in der vergangenen Bundesligasaison einig: Auf dem Platz, wenn Werder Bremen spielt. Wie anders als grafisch vollendet könnte man es nennen, wenn Diego mit einem Federstrich aus dem Fußgelenk über 62 Meter eine Parabel in den Himmel zeichnet, an deren Ende das gegnerische Tor den Ball empfängt?

Das so lässig rasante, leichtfüßige Werder-Passspiel voll Witz und Fantasie kann nur als ausgefeilte Choreografie beschrieben werden. Wenn Miro Klose mit unbeirrtem Wunderglauben zwischen Kraft und Schwäche, Strategie und Chaos, Gefühl und Verstand an seiner Wiedergeburt als Stürmerstar arbeitet, ist das eine Installation des Scheiterns. Und sind nicht die in Sekundenbruchteilen freigesetzten Emotionen bei einem Naldo-Freistoß so unwiederholbar wie unauslöschlich, lassen sich weder ersetzen noch wiedergeben, so dass von purer Kunst zu sprechen ist?

Nicht wegzudiskutieren aber ist auch: Fußball bleibt Fuß- und Handwerk. Ihm fehlt das reflexive Moment. Ein Diego-Schuss aus 62 Metern bedeutet bestenfalls das 3:1 für Werder gegen Alemannia Aachen. Siebzehn Künstler haben nun mit einer Artifizierung des Werder-Fußballs versucht, ein wenig Sinn draufzusatteln, etwas gegen die oft beklagte Kommerzialisierung und Medialisierung des Fußballs zu tun sowie die Kluft zwischen dem Spiel und dem Nachdenken darüber zu schließen. Die Ausstellung „der 35ste spieltag“ soll als „Saisonrückblick der besonderen Art“ bildhaft reflektieren und das Vertraute fremd sehen. Wie der Fußball lebt auch die Kunst von der Eroberung von Freiräumen. Die hat man in einer leer stehenden Spedition im Güterbahnhof Bremen genutzt.

Jedem der 17 Künstler wurde ein Heimspiel der Bremer zugelost, welches es zu bearbeiten galt. Die Freischaffenden aller Teams und Sparten zeigen locker und lustvoll, dass auf ihnen endlich einmal nicht so sehr der Druck lastet, besonders kritisch, politisch engagiert und avantgardistisch zu sein. Fußballkunst als Form gewordenes Fantum, da ist fast alles erlaubt.

Tom Gefken malt mit blasphemischer Ironie das Antlitz von Torsten Frings und nennt es „Schweißtuch der Veronika“ – nach der Jesus-Reliquie im Petersdom. Die Werder-Niederlage gegen Schalke wird von Christian Holtmann mit zwei Porträts illustriert: Ein Fan hat sich im grünweißen Schal verkrochen, einem Fan im königsblauen Kapuzenpulli wurde mit einem Schnuller das Maul gestopft. Nach der bitteren Niederlage gegen Frankfurt gestaltete Piet Schnabel 22 Leuchtbilder: elf strahlend freundliche, farbenfroh funkelnde Bremer Fische– und 11 miesepetrige, grauschwarz fiese Frankfurter Fische mit mörderischem Gebiss.

Selbst wenn Werner Kuhrmann ein Fußballstadion mit Plastiksoldaten als Schlachtfeld inszeniert – obwohl die kulturelle Leistung des Fußballs gerade darin besteht, den Kampf um Ball und Sieg mit Hilfe von Regeln zu zivilisieren – zeigt sich ironischer Fußballsachverstand. Er gestaltete nach dem Spiel gegen den HSV eine Todesanzeige: David Jarolim – gefallen am 17.2.2007 in der 41. Spielminute. Davon war besonders Werders Mediendirektor Tino Polster amüsiert: Jarolim vom HSV sei doch einer, sagte er, der sich gern fallen lasse, um Freistöße zu provozieren.

Hermann Stuzmann arrangiert Abfall in einer Raumecke und schmiert „Ecke“ darüber. So erinnert er daran, wie häufig die Angriffsbemühungen Werders gegen Aachen als Eckstoß entsorgt wurden – und eben nicht in einer torgefährlichen Flanke kulminierten. Und wenn das Runde, wie gegen Borussia Dortmund, einfach nicht ins Eckige will, hilft Jörg Naumann nach: Er schneidet Bilder von Fußballersocken kreisförmig zu und und werkelt sie in quadratische Bildrahmen hinein. Das Fußballerische in der Kunst – Kraft und Tempo – entdecken Tom Geffken und Tina Müller: ein immer wieder in diverse Farbtöpfe getunkter Ball wird wahllos gegen weiße Wände gekickt.

Ein eigener Beitrag zur Ästhetik des Fußballs will hier zwar nicht gelingen. Es gibt keine große Kunst für die Ewigkeit zusehen – aber durchaus eine kleine zum Schmunzeln zwischendurch.

Jens Fischer

bis 30. Juni im Bremer Güterbahnhof