Das bahnbrechende Schweigen

Robert Bengsch ist einer der besten deutschen Bahnradfahrer. Ein Gespräch mit ihm über die Dopingbekenntnisse seiner Sportkollegen endet meist in beklemmender Stille. Aus Sorge um die eigene Existenz – und die Zukunft der gesamten Disziplin

VON JOHANNES KOPP

Nachdem das Aufnahmegerät ausgeschaltet ist, überkommt Robert Bengsch fast so etwas wie Mitleid. Er sagt: „Sie werden hauptsächlich sich selbst reden hören.“

Bengsch gehört zu den besten deutschen Bahnradfahrern. Schon 2001 wurde der heute 23-Jährige mit dem Bahn-Vierer Vizeweltmeister im Juniorenbereich. Heute fährt er für das KED-Bianchi-Team Berlin. Bengsch soll über die jüngsten Dopingbekenntnisse aus dem T-Mobile-Lager, die derzeit den Radsport in Deutschland in seinen Grundfesten erschüttern, berichten. Zu dem Gespräch hat ihn Uwe Freese, der Bundestrainer der Bahnradfahrer, verdonnert. Freese findet, dass auch mal ein junger Sportler wie sein Schützling Stellung zu den Geschehnissen beziehen sollte.

Bengsch hat sich dem Trainerwillen gebeugt und lässt sich tapfer ausfragen. Doch er antwortet einsilbig – oder gar nicht. Immer wieder entsteht diese beklemmende Stille. Eine Frage lautet: Ob er das Dopingbekenntnis von Bert Dietz, dessen Beispiel dann viele folgten, als mutig empfand? Nach längerem Schweigen sagt Bengsch, das sei so eine Frage und äußert sich daraufhin nicht weiter zur Sache. Und an anderer Stelle entgegnet er, das sei wieder so eine Frage.

Immerzu diese Fragen, warum aber diese Verschwiegenheit? Zu verbergen habe er nichts, versichert Bengsch. Er erklärt: „Ich habe nie gedopt, und mir ist noch nie etwas angeboten worden.“ Ihn stören die Pauschalverdächtigungen, die derzeit von einigen Journalisten und Dopingfahndern erhoben werden. „Das ist unfair gegenüber den sauberen Sportlern“, sagt er.

Doch warum lehnen sich die „sauberen Sportler“ dann nicht gegen die Kollegen auf, die sie so in Verruf bringen? Neben dem Bestreben, eigene Dopingpraktiken zu verbergen, gibt es momentan noch einen anderen Grund für das allgemeine Schweigen im Lager der Radsportler: die Furcht um die eigene Existenz.

Bengsch bekennt: „Ich habe schon Angst um meinen Sport. Das Team Wiesenhof hat infolge der Doping-Offenbarungen gerade seinen Ausstieg verkündet. Dort sind viele Kollegen meiner Altersklasse unter Vertrag.“ Mit großer Sorge betracht er die Diskussionen der Fernsehsender, Radrennübertragungen aus dem Programm zu nehmen. Die Folgen wären absehbar: Ein Großteil der Sponsoren würden ihre Zahlungen einstellen. Bengsch weiß, das könnte der Anfang vom Ende sein. Jetzt, da er vor dem ersten ganz großen Höhepunkt seiner Karriere steht. Nächstes Jahr will er bei den Olympischen Spielen in Peking im Bahn-Vierer um eine Medaille fahren.

Obwohl der Doping-Sumpf zum Himmel stinkt, bemüht sich Bengsch darum, das eh schon ramponierte Image des Radsports nicht weiter zu beschädigen. So fällt es ihm schwer, Dietz für sein bahnbrechendes Geständnis zu loben. Erst auf wiederholte Nachfrage erwidert er: „Es steht mir nicht zu, darüber eine Bewertung abzugeben. Ich kann nicht sagen, ob das richtig oder falsch war. Er wird seine Gründe dafür gehabt haben.“

Allein dass Bengsch erwägt, das Handeln von Dietz könnte falsch gewesen sein, spricht Bände. Produzenten von Negativschlagzeilen sind nicht beliebt in der Szene, die um ihr Überleben bangt. Bengsch verweist darauf, dass die jüngsten Geständnisse eine Zeit betreffen, die weit zurückliegt. Er sagt: „Wichtig ist nicht die Vergangenheit. Wichtig ist, dass dieser Sport in Zukunft wieder sauber wird. Das ist mein großes Anliegen.“ Doch was ist mit der Gegenwart? Macht es denn Spaß, sich mit Gedopten zu messen? Bengsch gibt sich naiv. Er wisse nicht, ob bei seinen Wettkämpfen gedopt wird. Das sei vornehmlich ein Problem der Straßenprofis. Zum Bahnradfahrer Christian Lademann, der in der Vergangenheit wegen erhöhter Hämatokritwerte auffällig wurde, möchte er sich nicht äußern. Mit ihm fuhr er Anfang des Jahres beim Sechstagerennen in Berlin im Zweierteam.

Manchmal, so räumt Bengsch dann doch ein, frage man sich bei Wettkämpfen schon, weshalb Konkurrenten 5 km/h schneller fahren können, schließlich trainiere man ja auch jeden Tag. Doch es sei der falsche Ansatzpunkt, betont er, diese Unterschiede mit Doping zu erklären. Es gebe so viele Möglichkeiten im Radsport, sich auf legalem Wege zu verbessern.

Kann man den Verdacht der Manipulation so einfach beiseite schieben? „Ja, ich blende das aus“, sagt Bengsch. „Ich sehe immer noch das Gute in unserem Sport.“

Ob gedopt oder nicht, eines haben die Radsportler in Deutschland derzeit gemein: Sie beherrschen die Kunst des Verdrängens. Es wird allenfalls über die überführten Dopingsünder gesprochen, ansonsten wird geschwiegen. Wer sägt schon gerne an dem brüchigen Ast, auf dem er sitzt. Bengsch flüchtet sich lieber in die Zukunft: „Ich wünsche mir, dass künftig häufiger und effektiver auf Doping kontrolliert wird.“ Und er versichert glaubhaft: „Ich hätte mich gerne mit Ihnen über ein anderes Thema unterhalten.“