nebensachen aus mexiko-stadt
: Wenn Großstädter nicht ans Meer kommen: Badespaß am Pflasterstrand

Wer bisher in Mexiko-Stadt mal eben schwimmen gehen wollte, bekam bestenfalls ein mitleidig-freundliches Lächeln zur Antwort. Bestenfalls. Denn nicht jeder ist so nett wie jener Angestellte des Olympiabads, der mir die Prozedur genau beschrieb: „Sie brauchen ein ärztliches Attest, ein Passfoto Größe 3 x 2,5 sowie ein Formular, das die Einzahlung des Mitgliedsbeitrags bestätigt.“ Und Zeit, denn Einschreibungen sind erst wieder am 1. September möglich. „Aber kommen Sie früh morgens, dann ist die Schlange nicht so lang.“ Mit viel Glück kann man auf diesem Weg das Recht erwerben, in einem der wenigen öffentlichen Bäder der 22-Millionen-Stadt wöchentlich eine Stunde zu schwimmen. Unter Aufsicht eines Schwimmlehrers, versteht sich, und immer entlang der weißen Linie.

Die Alternative? Man fährt an einen der vielen Strände. Etwa nach Acapulco. Das Pazifik-Seebad liegt knappe fünf Autostunden von der Hauptstadt entfernt. Lange Blechkolonnen ziehen an Weihnachten oder Ostern dorthin, und wieder gilt es, das richtige Timing zu erwischen. Denn wer zu spät losfährt, wird möglicherweise entnervt aufgeben, bevor er auch nur das Ende der Stadt erreicht hat. Millionen von mit Großfamilien überladenen Kleinbussen, zu Urlaubswagen umfunktionierten VW-Käfer-Taxis oder Sportschlitten der „Fresas“, der Neureichen, sorgen dafür, dass schon vor der Haustür nichts mehr geht. Aber die meisten müssen sich um solche Probleme nicht scheren. Für rund drei Viertel der Einwohner ist solch ein Ausflug unbezahlbar.

So war das bisher mit dem kühlen Nass. Aber seit einigen Wochen ist alles anders. Wo die Menschen nicht zum Strand kommen, kommen Sand und Wasser zu den Menschen, dachte sich die sozialdemokratische Stadtregierung. Und so schleppte man tonnenweise Sand inklusive Kokospalmen aus dem subtropischen Veracruz in den Moloch, stellte ein paar Planschbecken daneben und sorgte mit Imbissbuden, Gokartbahnen und Volleyballnetzen für das entsprechende Urlaubsflair. Umsonst, draußen und mit Höhensonne. Schließlich liegt die einstige Aztekenstadt auf 2.400 Meter Höhe.

Die Sache ist ein Renner. Hunderttausende Chilangos, wie die Hauptstädter heißen, stürmen an den Wochenenden die Stadtstrände, und so findet der Badespaß in Schichten statt: zwei Stunden Anstehen, zwei Stunden Vergnügen und wieder nach Hause. Dass es zwischen den Schirmen dennoch eng wird, hält nur wenige ab. Denn mehr als einen halben Quadratmeter Sandfläche haben auch die Chilangos nicht, die es bis zum Strand von Acapulco schaffen.

Außerdem wird alles noch besser. Am Rio Magdalena soll der größte Metropolenstrand entstehen. Mit einem schnuckeligen Flüsschen hat das Gewässer zwar nichts zu tun. Aber immerhin: Während nach dem Rio Churubusco oder dem Rio San Juan nur noch Stadtautobahnen benannt sind, ist der Rio Magdalena der letzte real existierende Fluss einer Stadt, die einst auf Seen und Flüssen erbaut wurde. Und Atteste, Fotos oder Zahlungsnachweise wollte am Großstadtstrand bisher niemand sehen.WOLF-DIETER VOGEL