HOLUNDER, HONORARE: Nicht aufregen!
Die Holunderblüten dufteten so süßlich-betörend, dass mir ganz schwindelig wurde. Sie hingen derart üppig an den Ästen, dass wir im Nullkommanix zwei große Tüten voll hatten. Ich war mit zwei Freundinnen auf der Müggelspree Kajak fahren, und wir hatten die Picknickpause zur Ernte genutzt. Zu Hause landete ein Großteil der Blüten mit viel Zitrone in großen Töpfen mit Wasser. Das wurde der Saft. Die schönsten Dolden hob ich auf, um sie in Teig zu backen.
Am nächsten Morgen stieg mir auf dem Markt auf dem Boxhagener Platz wieder der süßlich-betörende Duft in die Nase. An einem Stand wurden die Blüten verkauft – für 24 Euro das Kilo! Ich dachte, ich spinne. Am Abend machte ich die gebackenen Holunderblüten. Das Ergebnis war phänomenal. Beim Reinbeißen hatte ich das Gefühl, in einem Holunderbusch zu hocken. Das köstliche Mahl hatte außer zwei Eiern, etwas Mehl und Milch nichts gekostet.
Einen Tag später lag ich auf dem Sofa und zappte mich durchs Fernsehen. Ich erfuhr von einem Parfüm einer russischen Millionärstochter, von dem es 1.000 goldene Flakons gibt. Stückpreis: über 100.000 Euro. Plötzlich kamen mir die 24 Euro für ein Kilo Holunderblüten lächerlich vor. Komischerweise regte ich mich aber nicht über das Parfüm auf. Auch als kurz darauf Monica Lierhaus in der Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“ auftauchte und wie ein seltsamer Roboter sprach, blieb ich ganz ruhig, obwohl ich es mehr als happig finde, dass sie für diesen Job fast eine halbe Million Euro kassiert. Statt dieses Honorar in Holunderblüten umzurechnen, las ich in einer Kräuterfibel über den Holunder, die „lebende Hausapotheke“. Ich erfuhr, dass die Blüten schmerzlindernd sind und eine beruhigende Wirkung haben. Das kann ich voll und ganz bestätigen. Wie schön, dass in meinem Kühlschrank noch drei Flaschen Saft stehen. BARBARA BOLLWAHN
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