Die Fummel-Filmer

Der handgemachte Puppentrickfilm alter Schule besetzt eine Nische im Filmgeschäft. Bands und Festivals kommen mitunter trotzdem darauf zurück – und landen im Hamburger Filmstudio Stoptrick

Das 23. Internationale KurzfilmFestival präsentiert in Hamburg mehr als 400 Filme in sechs Tagen. Vom 6. bis 11. Juni geht es in den Zeise Kinos, im Metropolis, im B-Movie, im 3001 und im Lichtmeß um Wettbewerbe und Informationen rund ums Thema Kurzfilm. In den einzelnen Festivalkategorien werden insgesamt 30.000 Euro Preisgeld ausgeschüttet. Die Kategorie „Flotter Dreier“ feiert dieses Jahr ihr 20. Jubiläum und zeigt dreiminütige Mini-Kurzfilme zu vorgegebenen Themen, wie „Zittern“ oder „Fisch“. Das 9. „Mo & Friese“-Kinderkurzfilm-Festival präsentiert fast 60 Kurzfilme. Am 8. Juni kommen während Podiumsdiskussionen Filmschaffende mit Produzenten ins Gespräch. Noch auditiver wird der Wettbewerb um den besten Soundtrack sowie das Sonderprogramm „Microton“, für das E- und U-Musiker Wissenschaftsfilme vertonten. Ausländische Filme werden in der Originalfassung mit englischen Untertiteln gezeigt. Außerdem bieten die Veranstalter Vorführungen mit Gebärdensprach-Dolmetschern. Alle Informationen: www.shortfilm.com NE

VON KLAUS IRLER

Jochen Distelmeyer war mal der Sänger der Band Blumfeld, und er hat Wurstfinger. Mit zusammengekniffenen Augen steht er neben seinem Bassisten, dem der Bass sehr cool knapp über den Knien hängt und der auch Wurstfinger hat. Sie haben alle Wurstfinger, die Mitglieder von Blumfeld, und Pausbacken. Was vielleicht daran liegt, dass in unmittelbarer Nachbarschaft ein Krokodil sitzt – und Zigarre raucht.

Distelmeyer, seine Band und das Krokodil sind in diesem Fall Puppen aus Gummi und Draht. Sie sind etwa einen halben Meter groß und stehen auf einem langen Regal neben etlichen anderen Figuren mit Knochen aus Draht und Gliedmaßen aus Latex, Latexschaum oder Gummimilch. Es ist eine Galerie der Darsteller des Hamburger Filmstudios Stoptrick. In dem arbeiten Jim Lacy, Kathrin Albers, Nils Hartlef und Daniel Haude, alle zwischen 30 und 40 Jahre alt und hauptberufliche Puppentrickfilm-Macher. Was so selbstverständlich nicht ist, denn der Puppentrickfilm in Stop-Motion-Technik besetzt eine Nische im Filmgeschäft, in dem Filme-Machen zunehmend mit Computern zu tun hat.

Beim Stop-Motion-Dreh werden die Puppen Bild für Bild leicht verändert und beginnen dadurch nachher auf der Leinwand zu leben. Es ist eine der ältesten Techniken im Film, zudem sind Puppentrickfilme extrem selten geworden. Trotzdem hat das Genre auch im Mainstream-Kino immer wieder große Auftritte: „Wallace & Gromit“ und „Chicken Run“ sind Puppentrickfilme, gedreht in mühsamer Stop-Motion-Technik.

In der Regel aber läuft der Puppentrickfilm in Programmkinos im Vorprogramm, bei Arte oder auf 3 Sat. Außerdem läuft er auf Festivals wie dem Internationalen Hamburger Kurzfilmfestival, das diesen Mittwoch startet (siehe Kasten). Für das Hamburger Kurzfilmfestival drehten die vier Filmemacher von Stoptrick mehrmals den Festival-Trailer und gewannen mit ihren Filmen immer wieder Preise. In diesem Jahr sind sie vertreten mit „Peters Prinzip“ im deutschen Wettbewerb und mit „Quench“ im Programm „Best of 20 Jahre Flotter Dreier“.

Das sind dann die Gelegenheiten, bei denen die Cineasten von Stoptrick ihre Arbeit den anderen Cineasten vorstellen. Es gibt aber auch ein Publikum, das Stoptrick kennt, ohne es zu wissen: Die Hamburger haben Werbefilme für Freenet und Reno gedreht, außerdem ist das Blumfeld-Video zu dem Song „Tics“ von Stoptrick. „Die Priorität der Arbeit liegt aber auf den eigenen Sachen“, sagt Kathrin Albers, 32, die die Figuren entwickelt und die Animationen macht. Über die Auftragsarbeiten kommt das Geld, um die technische Ausrüstung nach und nach zu erweitern, um den Umzug in das Fabrikgebäude in Altona-Nord zu finanzieren und um den Freiraum für die eigenen künstlerischen Arbeiten zu schaffen.

„Peters Prinzip“ zum Beispiel: Der Film ist ein ironischer Lehrfilm in Sachen Wirtschaftsratgeber-Wissen, drei Minuten und 50 Sekunden lang, mit Tieren als handelnden Wesen. Der Film referiert auf der Tonebene die Thesen von Büchern wie „Das Peter Prinzip“ von Laurence J. Peter. Beispielsweise: Mitarbeiter werden in Betrieben solange befördert, bis sie eine Position erreicht haben, für die sie nicht mehr kompetent sind – mit entsprechenden Folgen für das Unternehmen. Oder: Je weniger sich die Mitarbeiter eines Teams leiden können, desto effektiver wird das Team insgesamt. Oder: Je fauler ein Mitarbeiter ist, desto besser ist seine Fähigkeit ausgeprägt, einfache Lösungen zu finden – eine Schlüsselqualifikation für erfolgreiches unternehmerisches Handeln.

Szenisch umgesetzt werden die Ratgeber-Thesen entlang der Geschichte eines Krokodils, das vom Kartenabknipser im Schwimmbad aufsteigt zum Chef einer Schwimmring-Fabrik und den Posten bald wieder verliert. Die Schlagzahl an Thesen und neuen Chefs erhöht sich zunehmend. Am Ende fliegt die Firma in die Luft.

Gemacht ist der Film mit viel Aufmerksamkeit für die Details. Und mit dem eigentümlichen Ruckeln in den Bewegungen der Figuren, die die Stop-Motion-Technik mit sich bringt. Ein Ruckeln, das Kunsthistoriker mit der Aura der Bilder in Zusammenhang bringen würden. Und das unter Puppentrickfilmern zur Glaubensfrage wird, denn natürlich legt die Entwicklung der Computer-Technik die Frage nahe, ob das mühsame Abfilmen von Einzelbildern noch gerechtfertigt ist.

Bei Stoptrick hat man dazu eine klare Meinung: „Ich finde das old-schoolige von Stop-Motion reizvoll. Es geht um das Reale, um die Kombination aus Perfektion und Handwerk. Man kann sehen, wie das gemacht ist. Außerdem liegt ein Reiz darin, dass man nicht ewig rumfeilen kann“, sagt Albers. „3 D“, sagt Jim Lacy, „hat einen anderen Schwerpunkt. Es hat etwas schwebendes. Für uns ist es reizvoller, mit einfachem Werkzeug sehr gut zu sein, als mit den riesigen Entwicklungsmöglichkeiten der 3 D-Technik umzugehen. Wir sind keine Computerfreaks.“

Old School, handgemacht und cool, weil jenseits des Mainstreams: Kein Wunder, dass Blumfeld auf die Idee gekommen sind, ihr Video in Stop-Motion drehen zu lassen. Wie übrigens auch Peter Gabriel, für den Peter Lord, der Gründer der „Wallace & Gromit“-Produktionsfirma Aardman Animations, im Jahr 1986 das Video zu „Sledgehammer“ drehte.

Nach ihrem aktuellen Kurzfilm „Schiefe Bahn“ wollen die Hamburger von Stoptrick ihren ersten Langfilm in Angriff nehmen. Was eine große Herausforderung bedeuten wird: Die Konkurrenz ist zwar nicht zahlreich, aber der Perfektionsgrad bei den Briten von Aardman Animations oder dem Amerikaner Tim Burton ist mitunter beängstigend. „Wenn man einen Langfilm drehen will, muss man vorher Kurzfilme gemacht haben“, sagt Jim Lacy, der bei Stoptrick die Kamera macht – und schon über das Spielfilm-Drehbuch nachdenkt.