Die vermaledeiten Daten

Neues von der Weltkalenderkonferenz: ein komplettes Jahr ganz ohne spezielle Tage

Alle Zeit der Welt zu haben, scheint vielen eine verlockende Sprachfigur. Dabei verkimmelt in der Regel jeder Stürmer seine Großchance, wenn er sie hatte. Überhaupt ist nicht jede Zeit von Vorteil, wie sich an jedem Kalender zeigt. Manche Jahresdaten sind einfach überflüssig, wenn nicht sogar Scheiße. Egal, ob es sich um den 3. Oktober oder um den 17. Juni handelt – nicht jeder Tag bringt schon deshalb etwas Sinnvolles mit sich, bloß weil es ihn gibt. Deshalb treffen sich einmal im Jahr auf Einladung von Zeit und Times namhafte Chronologen, um im Auftrag der UNO den kommenden Jahreskalender minutiös zu besprechen.

Am 31. Juni ist es wieder so weit: dann ist „Weltkalendertag“ oder – wie er noch zu Zeiten von UNO-Generalsekretär U Thant hieß – „der Gedenktag des nicht mehr vergebenen Datums“. Der Ursprung dieses Gedenkens geht auf den Ausbruch des Krakatau am 27. August 1883 zurück, als nicht fern von U Thants Heimat eine ganze Insel in die Luft flog und mehr als nur Zweifel am geordneten Fortgang des Zeitgeschehens aufkamen.

Entsprechend wurde dieser unglückselige Spätsommertag schon wenige Jahre nach dem Untergang der Insel aus der indonesischen Zeitrechnung gelöscht. Zweifel holländischer und Schweizer Uhrenexperten, dass durch den Wegfall eines Kalendertages in Südostasien die Zeitrechnung weltweit zusammenbrechen könnte, bestätigte sich bezeichnenderweise nicht: durch das Einfügen des 31. Juni kamen die Menschen zwischen Sumatra und Java erstaunlich gut zurecht und sogar in der Gegenwart an.

Genau deshalb trägt der Weltkalendertag auch noch seinen zweiten Namen: Der 31. Juni erinnert nämlich daran, was die Zeit so mit sich bringen kann an überflüssigen Daten. Seit dem 11. 9. ist es ganz offensichtlich. Was hätten wir für eine glückliche Welt, wenn es ihn nicht gäbe! Niemand könnte mehr an die Geschehnisse des 11. 9. erinnern, und politische Begründungen alleine durch den Rückgriff auf dieses abgegriffene Datum wären obsolet. Die Politiker müssten wieder anfangen zu denken und kämen nicht mehr um Argumente herum, wo sie seit Jahren nur noch ein schlichtes bescheuertes Datum nennen – eben diesen 11ten 9ten. In Deutschland könnte man sogar auch gleich das Retrodatum, den 9. 11., mit auf den Müllhaufen Geschichte werfen und keiner würde die Kalendertüte groß vermissen.

Man kann es auch ganz positiv sehen und Dankbarkeit hinter dem Verschwinden solcher Zahlen erkennen. In den großen nordamerikanischen Profiligen wie der NHL werden traditionell auch sehr viele Nummern nicht mehr vergeben – aus Ehrfurcht und Respekt vor den Spielern, die sie einstmals trugen: man denke an die „7“ bei den Buffalo Sabres für Rick Martin, an die „20“ für Luc Robitaille bei den Los Angeles Kings beziehungsweise den unvergessenen Doug Wickenheiser von den St. Louis Blues oder die „66“ von Mario Lemieux von den Pittsburgh Penguins.

Wir alle hätten wohl eine dieser vermaledeiten „retired numbers“ anzumelden, um sie schon gleich morgen aus dem Zeitverkehr zu ziehen. Bei mir persönlich wäre es der verflixte 2. Juni, vor allem wegen des Jahres 1985, als Hessen Kassel durch ein 2:2 zu Hause gegen Hannover 96 den Bundesligaaufstieg verspielte. Vermutlich gibt es unter den bekannten 366 Tagen keinen, auf den nicht wenige gerne pfeifen würden. So wird denn auch damit gerechnet, dass die Weltkalenderkonferenz Ende dieses Monats für 2008 angesichts des absehbar tragischen Zusammenpralls von Himmelfahrt und Erstem Mai ein komplettes Jahr ganz ohne spezielle Tage beschließen wird. Die würden sich stattdessen einfach so, wie die Sonnenauf- und -untergänge bei Robinson Crusoe, aneinanderreihen. Es gäbe nicht mal einen Freitag mehr. Und einen 13. schon gar nicht.REINHARD UMBACH