Tja, Freimarkt (10): Grumi Strunk
: Viel Afrika, wenig Bavaria

Einmal im Jahr ist Freimarkt – aber muss man darüber schreiben? Kommt auf die Perspektive an, beweist die taz.bremen-Serie.

Ich muckte das erste Mal mit der Tanzband „Tiffany’s“ im Bayernzelt des Freimarkts. Schon beim ersten Song war mir klar, was die Stunde geschlagen hatte: Der Bandleader musste sich enorm konzentrieren, um die Melodie einigermaßen fehlerfrei zu spielen. Bassist und Schlagzeuger rumpelten unbeholfen vor sich hin. Dabei guckten sie sich angestrengt an und taten so, als ob es richtig grooven würde. Der Keyboarder hatte bei seinem Polysix-Synthesizer einen abscheulich Streichersound eingestellt und griff mit seinen Wurstfingern ständig daneben.

Schrammelschrammelschrammel, matschmatschmatsch. Der Sound: eine Katastrophe. Katzenmusik. Dem Publikum war es seltsam egal. Entweder, weil sie es nicht anders gewohnt waren, oder, weil das dilettantische Geklöter bewies, dass die Band wirklich live spielte.

In einiger Entfernung zur Bühne stand eine Rotte Freimarktbesucher, die uns argwöhnisch beäugte. Aus ihren Reihen löste sich plötzlich ein schwitzender Teigbrocken und quoll uns erstaunlich behände entgegen: „Sag mal, Klaus und Klaus, nä – das habt ihr jawohl drauf?“

Bei den ersten Takten von „an der Nordseeküste“ ging ein Ruck durchs Zelt. Die Leute waren von ihren Bänken aufgestanden, hatten sich eingehakt und sangen begeistert mit. Trotz der einfachen Melodie ein Festival der schiefen Töne. Egal. Die Leute waren total aus dem Häuschen.

Als wir zum dritten oder vierten Mal den Musikwunsch „an der Nordseeküste“ erfüllten, standen die Leute auf den Tischen und weinten fast vor Begeisterung. Harte Klänge an der Grenze des Erlaubten.

Ich trank in jeder sich bietenden Pause Bier. Die Wirkung ließ allerdings sehr zu wünschen übrig: Zeltplörre. Irgendwann musste ich mal. Im Toilettenwagen stand neben mir ein sehr, sehr alter Mann. Er stierte mich an und sagte mit unbewegter Miene: „Ach ... die Musik.“ – „Ja, äh, ja, genau.“ – „Jaja ... die Musik.“ – „Hmm ...?“ Mir war nicht recht klar, was er wollte. Er machte noch eine lange Pause und mümmelte dann bedächtig: „Viel Afrika und wenig Bavaria.“ Da muss man erst mal drauf kommen.

Gegen zwei leerte sich das Zelt. Am Tresen wurden nun einschlägige Lieder skandiert: das Niedersachsen-Lied, das Horst-Wessel-Lied und noch allerlei andere Weisen, die man erst singt, wenn es später ist. Wir spielten zum sechsten Mal an der Nordseeküste und der Korn wurde direkt aus der Flasche getrunken. Dann, endlich, das Abschlusslied: Blue spanish Eyes.

Als nach dem zweiten Refrain mein Saxofon-Solo an der Reihe war, überkam mich eine seltsame Lust zu spielen: Tröttröttröt. Ich holte alles aus der Rotzkanne raus. Bei geschlossenen Augen hätte man denken können, da stehe der Saxofonist von Marius Müller-Westernhagen oder Tina Turner auf der Freimarktschen Festzeltbühne. Mindestens. Die Kollegen guckten staunend zu mir herüber und als ich mit dem Solo fertig war, bekam ich doch tatsächlich Szenenapplaus. Ich verbeugte mich. Was für feine Menschen das doch waren. Sollten sich andere über sie lustig machen, ich nicht.