Grenzüberschreitende Wiederbelebungen

JAZZ-FESTIVAL Trotz geschrumpften Etats findet das renommierte Ostsee-Jazz-Festival JazzBaltica auch in diesem Jahr wieder statt: In kleinerem Rahmen erinnern unter anderem dessen ehemalige Bandkollegen und Pat Metheny an den Pianisten Esbjörn Svensson

Für viele bedeutete der Auftritt bei der JazzBaltica den weltweiten Durchbruch

VON ROBERT MATTHIES

Um eine gewisse Wiederbelebung ging es schon zu Beginn: Eine langfristige Kulturkooperation der Ostseeanrainer sollte die Initiative Ars Baltica voranbringen – so etwas wie eine neu aufgelegte Hanse der Kultur schwebte dem damaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm 1990 vor, als ringsum die Ostsee das politische Eis zu schmelzen begann. Und auch Rainer Haarmanns Vorschlag, die kulturelle Begegnung rund um das Baltische Meer mit einem Jazzfestival zu eröffnen, ist ohne die Wiederbelebung einer alten Idee nicht denkbar: Schon als Kulturreferent in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR hatte Haarmann, im ersten Jahr und seit 1994 künstlerischer Leiter der JazzBaltica, mit der grenzüberschreitenden Kraft des Jazz gute Erfahrungen gemacht.

Grenzüberschreitungen

Nicht zuletzt deshalb kam auch der erste Bandleader des JazzBaltica Ensembles, jener jedes Jahr neu zusammengesetzten Band aus deutschen, skandinavischen und baltischen Musikern, die bis heute zu den viel beachteten Besonderheiten des Festivals gehört, aus dem Osten Deutschlands: Mit Günther „Baby“ Sommer eröffnete niemand Geringeres als der führende Free-Jazzer der eben zur „ehemaligen“ gewordenen DDR gemeinsam mit seinem finnischen Schlagzeuger-Kollegen Edward Vesala und dem in Litauen lebenden Russen Vladimir Tarasov den kulturellen Ostsee-Dialog.

Der Gedanke der grenzüberschreitenden Begegnung war es denn auch, der das Ostsee-Jazz-Treffen zum „Kleinod unter den Jazzfestivals“ (Jazz thing) gemacht und nach zwei Jahren mit Konzerten in Kiel und Lübeck zum Umzug in das Salzauer Herrenhaus und seine Konzertscheune geführt hat – um dort zu spielen, wo man auch gemeinsam wohnte und probte. Nicht nur arrivierte Künstler aus dem Ostseeraum brachte Haarmann dort mit US-Jazz-Legenden am Frühstückstisch, im Proberaum und auf der Bühne zusammen, sondern auch den Jazz mit anderen Künsten. Schon die erste JazzBaltica eröffneten Günther Sommer und Günter Grass einst mit einem gemeinsamen „Paukenschlag“ aus Jazz, Lyrik und Prosa.

Neue Impulse

Aber nicht nur dem etablierten Jazz haben Haarmann und seine Mitstreiter in den letzten zwei Jahrzehnten immer neue Perspektiven eröffnet. Ein besonderes Anliegen des Kulturaustausch-Projekts war von Beginn an, unter anderem mit einem Förderpreis, auch die Unterstützung neuer Talente der europäischen Jazzszene. Und für viele bedeutete die Zusammenarbeit mit der internationalen Jazzszene und der Auftritt im Rahmen der JazzBaltica denn auch den weltweiten Durchbruch.

Der schwedische Posaunist Nils Landgren etwa stellte hier 1994 zum ersten Mal seine „Funk Unit“ vor – und stand dabei mit der US-Funk-Legende Maceo Parker auf einer Bühne. Heute ist Landgren einer der erfolgreichsten und umtriebigsten europäischen Jazzmusiker – und kehrt immer wieder gern in den Schoß seiner „musikalischen Familie“ nach Salzau zurück. Zum ersten Mal in Deutschland zu hören war drei Jahre später in Salzau auch der schwedische Pianist und „Funk Unit“-Keyboarder Esbjörn Svensson mit seinem eigenen Trio mit dem Bassisten Dan Berglund und dem Schlagzeuger Magnus Öström. Der hatte gerade für deren drittes Album „Winter in Venice“ den schwedischen Grammis-Preis bekommen und hat ebenfalls hier den Grundstein für eine unvergleichliche Karriere gelegt: Von Kritikern geliebt und zugleich kommerziell überaus erfolgreich haben die drei Schweden die Grenzen des Piano-Jazz-Trios neu gesetzt, Jazzer und Rocker gleichermaßen beeindruckt, Keith Jarrett und Thelonious Monk mit Johann Sebastian Bach, Radiohead oder Emerson, Lake & Palmer vermählt und es schließlich als erste Europäer auf die Titelseite des renommierten US-Jazzmagazins Down Beat geschafft.

Wiederbelebungen

Entsprechend bestürzt hat die Jazzwelt vor drei Jahren die Nachricht vom plötzlichen Tod des Schweden aufgenommen: Im Stockholmer Schärengarten war Esbjörn Svensson auf dem Höhepunkt seiner Karriere beim Tauchen verunglückt. In Salzau treffen sich dessen Weggefährten, Freunde und Kollegen deshalb dieses Jahr unter dem Motto „piano, piano – remembering Esbjörn Svensson“, um den herausragenden Pianisten mit dem visionären Jazzidiom noch einmal umfassend zu ehren. Zum ersten Mal seit dem tragischen Unfall stehen dann auch Dan Berglund und Magnus Öström wieder zusammen auf einer Bühne. Gemeinsam mit der US-Jazzgitarren-Legende Pat Metheny und einer Reihe junger Pianisten in der Tradition des Schweden – Vijay Iyer, Yaron Herman, Leszek Możdżer und Michael Wollny – erinnern Öström und Berglund Samstag mit einem großen Tribut-Konzert an Esbjörn Svensson. Und auch das Konzert des Trios des Pianisten Stefan Rusconi ist im Grunde genommen ein Tribut: Ohne Svenssons Pionierleistung ist auch das energische Zusammenspiel der Schweizer, die letztes Jahr mit einer Jazz-Übersetzung der New Yorker Noise-Rocker Sonic Youth für Furore sorgten, schwer denkbar.

Aber auch das Festival selbst ist dieses Jahr in gewissem Sinne Gegenstand einer Wiederbelebung: Bis zuletzt stand dessen Zukunft selbst noch in den Sternen: Erst im Januar hat Rainer Haarmann erfahren, dass er fortan auf fast ein Drittel des Etats verzichten muss – das Land Schleswig-Holstein hat seinen Zuschuss komplett gestrichen. Dass es dennoch in kleinerem Rahmen – mit acht Konzerten und nur noch einer Scheune – stattfinden kann, verdankt es neben Sponsoren und tatkräftigen Unterstützern wie dem NDR einer kollektiven Besinnung auf sein Herzstück: Aus Verbundenheit mit Salzau verzichten viele Künstler diesmal sogar auf einen Großteil ihrer Gage – im Jazz geht es um Wichtigeres.

■ Husum, Salzau: Do, 30. 6. bis So, 3. 7., Infos und Programm: www.jazzbaltica.de