Verrat und Querschüsse

Weservertiefung, Kohlekraftwerk, Hochschul-Kürzungen – all dem hat die Bremer Grünen-Spitze längst zugestimmt. Die Partei bezeichnet das Protokoll als „Fake“. Andere Grüne haben es aber auch

Am dritten Tag der Koalitionsvereinbarungen in Bremen haben SPD und Grüne die künftige Arbeits, Jugend, Sozial, Gesundheits und Frauenpolitik beraten. Statt Ein-Euro-Jobs will man künftig verstärkt sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen schaffen, neben betrieblichen soll es auch schulische Ausbildungsplätze geben. Älteren Arbeitslosen soll eine Landesinitiative „55 plus“ helfen. Geplant sind weiter eine Bundesratsinitiative für einen gesetzlichen Mindestlohn samt „geeigneter Maßnahmen auf Landesebene“, ein Chancengleichheitsprogramm sowie die Weiterentwicklung des Vergabegesetzes. Zwangsumzüge sollen wo irgend möglich vermieden werden, das Landesgleichstellungsgesetz auch für bremische Gesellschaften gelten, das neue Ladenöffnungsgesetz mit Maßnahmen zum Schutz von ArbeitnehmerInnen flankiert werden. Auf dem Programm stehen zudem Verhandlungen über ein Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr. SIM

AUS BREMEN ARMIN SIMON

Mit einem Rundschreiben hat sich der Bremer Landesvorstand der Grünen gestern an alle Parteimitglieder gewandt. Parallel zu den laufenden Koalitionsverhandlungen gebe es „jede Menge Querschüsse“. „Verratslegenden werden gestrickt“, heißt es darin. Von „angeblichen Vereinbarungen“ zu wichtigen Punkten, die bereits vor Aufnahme der offiziellen Koalitionsverhandlungen getroffen worden seien, könne aber keine Rede sein, versichert Landesvorstandssprecherin Susan Mittrenga: „Am Ende entscheidet Ihr.“

Anlass der Aufregung ist ein von der taz bremen publiziertes Protokoll, in dem die SpitzenkandidatInnen von SPD und Grünen ebensolche Vorvereinbarungen zu allen strittigen Punkten getroffen haben. „Jens Böhrnsen, Karoline Linnert – Ergebnisse der Sondierungsgespräche“ ist es überschrieben, das Datum lautet 19. Mai. Da hatten die Parteitage noch nicht einmal der Aufnahme von Koalitionsvereinbarungen zugestimmt.

Am Inhalt des Papiers dürften insbesondere die Grünen-AnhängerInnen zu knapsen haben. Im Wahlkampf hatte sich die Partei noch klar gegen die weitere Vertiefung der Weser ausgesprochen. In dem Protokoll ist davon keine Rede mehr: „Bei der Vertiefung der Außenweser werden alle rechtlichen Vorgaben und umweltpolitischen Standards eingehalten“, heißt es dort. Und: „Bei der Vertiefung der Unterweser wird durch begleitende Maßnahmen sichergestellt, dass die negativen Auswirkungen minimiert“ werden. Abgesegnet sind demnach offenbar auch der Bau des umstrittenen 900-Megawatt-Kohlekraftwerks des Bremer Energieversorgers swb AG – bei „Nutzung modernster konventioneller Kraftwerkstechnologien“ – sowie das Festhalten an den von der großen Koalition beschlossenen massiven Kürzungen bei den Hochschulen. Diese sollen als Trostpflaster lediglich „Begleit- und Übergangs“-Gelder erhalten.

Die Grünen mühten sich gestern nach Kräften zu dementieren. „Ein Fake“ sei das Papier, sagte Landesgeschäftsführer Björn Weber: „Es gibt keine Vorfestlegungen.“ Zwar, das bestreiten weder SPD noch Grüne, habe es ein Spitzengespräch zwischen Böhrnsen und Linnert gegeben, bei dem auch über derlei inhaltliche Punkte geredet worden sei. Es gebe aber definitiv „kein gemeinsam abgesprochenes Verhandlungsergebnis“. Das ominöse Protokoll, heißt es bei den Grünen, kenne man nicht. Nach Informationen der taz sind allerdings auch hochrangige Grüne im Besitz des Papiers – und gehen nicht davon aus, dass es sich um einen „Fake“ handelt.

Inhaltlich fällt das Dementi der Partei im Rundschreiben an die Basis denn auch schwach aus. „Es wurde nie vereinbart, dass es kein Geld für die Hochschulen geben wird – im Gegenteil, es soll ausdrücklich mehr Geld geben!“, heißt es dort – was keinen Widerspruch zu den „Begleit- und Übergangs“-Geldern darstellt. Gleiches gilt für die „extra Arbeitsgruppe“, die zur Weservertiefung gegründet wurde, und „die noch nicht getagt hat“.

Die niedersächsischen Grünen reagierten gestern verhalten. Das „ökonomisch unsinnige“ Ausbaggern des Flusses verursache „erhebliche Folgeschäden“ und „gefährdet Arbeitsplätze in Fischerei, Tourismus und Landwirtschaft“, sagte die Landtagsabgeordnete Ina Korter aus Nordenham. Dies sei eine „Existenzfrage für die Wesermarsch“ – weswegen die niedersächsischen Grünen „ganz klar gegen jede Flussvertiefung“ seien. Sie habe die Bremer Parteifreunde „gebeten, unbedingt unsere Position im Auge zu behalten“, sagte Korter der taz. Einfluss auf die Verhandlungen in Bremen habe man aber nicht. „Jeder Landesverband hat seine eigenen Prioritäten.“

Korter erinnerte an die gemeinsame grüne Forderung nach einem nationalen Hafenkonzept, das den einzelnen Häfen verschiedene Aufgaben zuweise. Für Schiffe mit großem Tiefgang reiche der in Wilhelmshaven geplante Jade-Weser-Port aus, weitere Vertiefungen von Elbe und Weser würden damit überflüssig. Sie gehe daher davon aus, dass das Böhrnsen-Linnert-Protokoll in puncto Weservertiefung „noch keine festgezurrte Linie“ darstelle.

Ähnlich äußerte sich der Geschäftsführer des Gesamtverbands Natur- und Umweltschutz Unterweser (GNUU), Martin Rode. Zwar sei das Papier offensichtlich der Versuch, von Wahlkampf-Positionen „vorsichtig abzuweichen“. Das letzte Wort sei aber damit noch nicht gesprochen: „Ich sehe das noch nicht als eine Formulierung von Kompromissformeln.“ Die Festlegungen seien viel zu vage, der Konflikt so nur „auf morgen vertagt“, ein Koalitionsstreit binnen weniger Wochen vorprogrammiert. „Damit ist man nicht regierungsfähig“, warnte Rode.

Inhaltlich kündigte er weiteren Druck an. Die Weservertiefung sei „ökologisch schädlich“ und nach den neuesten Erkenntnissen zum Klimawandel erst recht tabu. Die Koalitionspartner müssten klarstellen, „dass wir alles tun müssen, darauf zu verzichten“. Alles andere, so drückte Korter es aus, „wäre nicht gut für uns“. Die Wahlen in Niedersachsen stehen im kommenden Januar bevor.