UNTERM STRICH

Bis vor kurzem war der legendäre Zettelkasten von Niklas Luhmann für Forscher tabu. 13 Jahre nach dem Tod des international renommierten Soziologen und Systemtheoretikers wollen Wissenschaftler der Universität Bielefeld die Geheimnisse der sagenumwobenen Notizensammlung lüften. Schon jetzt steht fest: Luhmann hinterließ deutlich mehr Informationen als erwartet. Bis zu 70.000 Zettel stecken in den 24 Holzkästen – dreimal so viele wie anfänglich geschätzt.

Nachdem der jahrelange Rechtsstreit der Luhmann-Kinder um den Nachlass endlich beigelegt und der Zettelkasten an die Uni Bielefeld gegangen ist, blickt die Wissenschaft voller Erwartung auf die 1969 gegründete soziologische Fakultät.

Luhmann lehrte in Bielefeld bis 1993, fast 25 Jahre lang. Er versuchte zu erklären, wie Systeme funktionieren, und probierte seine Systemtheorie an ungezählten Themen aus. Seit Ende der 40er Jahre hatte Niklas Luhmann seine Gedanken dem stetig wachsenden Zettelkasten anvertraut: sowohl chronologisch als auch mit Verweisen über die unterschiedlichen Themengebiete hinweg.

Erst mit Hilfe der Querverweise lassen sich Pfade von Zettel zu Zettel schlagen. Luhmann-Schüler Professor André Kieserling will die Erwartungen aber nicht zu hoch stecken. „Wir finden viele Querverweise, aber doch nicht in der Menge, mit der wir gerechnet haben.“

Wichtig ist den Bielefeldern deshalb zunächst die Erfassung aller Daten in einer elektronischen Datenbank. Ziel ist es, den gesamten Fundus so schnell wie möglich im Internet zu veröffentlichen. „Dann können weltweit alle Interessierten auf den kompletten Zettelkasten zugreifen“, verspricht Kieserling.