Jetzt ist sie also mit Kreuz

VERDIENST Die Juristin Alexandra Goy streitet für Gleichberechtigung. Dass man sie deshalb ehrt, ehrt sie bedingt. „Ich bin keine Porträtfrau“, sagt sie. Sie besteche durch das, was sie sagt

„Jede Frau, für die es heute selbstverständlich ist, dass sie gleiche Rechte hat wie ein Mann, ist Feministin“

ALEXANDRA GOY

VON WALTRAUD SCHWAB
(TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTO)

Am Tag, als die Widerstandskämpfer vom 20. Juli am Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurden, ist sie zur Welt gekommen. Das erzählt Alexandra Goy, noch bevor sie das Datum nennt: „der Achte, Achte vierundvierzig“. Eine Schnapszahl, eine unwichtige. Wichtig ist, dass die Schauprozesse in Berlin und ihre Geburt in Wiesbaden am selben Tag waren und dass in der Gleichzeitigkeit ein Vermächtnis steckt: Widerstand. Zu kreischend die Stimme von Freisler, wie er seine Urteile herausschreit, wie er die Angeklagten beschimpft: „Sie sind ja ein schäbiger Lump.“ „Werden Sie hier nicht unverschämt.“ „Mit Ihnen werden wir fertig.“ Nur erwähnt, schon kriecht die Stimme des Blutrichters als Echo in den Kopf.

Widerstand also ist ihr Auftrag. Aber Alexandra Goy nennt es anders, sagt „Gerechtigkeit“ und „Wut auf Ungerechtigkeit“. Sie sagt auch – und dazu springt sie auf, geht in ein anderes Zimmer in ihrer Wohnung in Berlin-Charlottenburg, alle Wände sind weiß und bilderlos – „Streit“. Dann kommt sie zurück und sagt: „und Leidenschaft“. Sie hat es zu ihrem Beruf gemacht, ist Rechtsanwältin geworden. „Mit Leib und Seele.“ Vor ein paar Tagen bekam sie das Bundesverdienstkreuz. „Ich bin bereit, auch dieses Kreuz zu tragen.“

Politisiert

Jetzt ist sie also mit Kreuz. „Ich nehme es stellvertretend für die Frauenbewegung.“ Ohne die sei überhaupt nicht denkbar, was sie, Alexandra Goy, geleistet hat. Sie hat ein Leben lang dafür gestritten, dass diese Gesellschaft gerechter wird. Sie hat dafür gearbeitet, dass Vergewaltigung kein Kavaliersdelikt ist und vergewaltigte Frauen fair vor Gericht behandelt werden. Sie hat dafür gearbeitet, dass sexueller Missbrauch und Belästigung am Arbeitsplatz zu bestrafen sind, ebenso Vergewaltigung in der Ehe, und sie hat dafür gestritten, dass gewalttätige Männer der Wohnung verwiesen werden können. Das Gewaltschutzgesetz, das Antidiskriminierungsgesetz, das Nebenklagerecht – ihre Hartnäckigkeit hat befördert, dass es diese gibt.

Dafür hat sie ein hohes Risiko auf sich genommen. Denn wer lässt sich gerne Privilegien nehmen? Welcher Mann? Rechtsgeschichtlich war die Gewalt von Männern gegen Frauen lange gedeckt. Erst die Frauenbewegung ab den siebziger Jahren skandalisierte dies, Alexandra Goy mittendrin. Sie hat das erste Frauenhaus in Berlin mitgegründet, die erste Frauenrechtsanwaltskanzlei, die juristische Zeitschrift Streit und auch „das verborgene Museum“, wo übersehene Künstlerinnen und Fotografinnen ausgestellt werden, denn ihre Leidenschaft gilt auch der Kunst.

Politisiert von den 68ern und den Prostesten gegen den Vietnamkrieg, gehörte sie früh zu linken Anwaltskollektiven, verteidigte Leute von der „Bewegung 2. Juni“ und nahm den Bruch mit den linken Männern in Kauf, die sie hart dafür kritisierten, dass sie als Nebenklagevertreterin im etablierten Rechtssystem plötzlich Anklägerin war – womöglich auch von Vergewaltigern aus dem linken Milieu. „Alexandra Goy hat Rechtsgeschichte geschrieben, weil sie mutig und konsequent war“, sagt Halina Bendkowski, eine Mitstreiterin von früher, auf der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.

Juristinnen wie Goy sind die Schnittstelle zwischen der feministischen Bewegung und der Rechtsprechung wie auch dem Gesetz. Die eigentlichen Tabubrecherinnen, sagt Goy, seien aber die Frauen, die etwa in Frauenhäuser flüchteten. Diese hätten über ihre Gewalterfahrungen gesprochen. „Wir mussten nur entscheiden: Tut man was vor Gericht oder nicht.“ Das sei so eine Gratwanderung, denn immer müsse abgewogen werden, ob man etwas erreichen kann oder ob man der betroffenen Frau durch den Prozess schadet. „Aber wenn wir vor Gericht gegangen sind, dann haben wir solche Sachen öffentlich machen können.“ Und dann erst – und da steckt ein Vorwurf drin ob der durchschaubaren Reflexartigkeit – hätten sich auch die Medien interessiert.

Alexandra Goy, Sternzeichen Löwe, siebzig, und weiter als Anwältin tätig, wird ausgezeichnet für ihre Verdienste. Eine Gelegenheit, so ihre Überlegung, auch damit die Medien zu interessieren. Um der Sache willen, nicht für sich, nicht für sie. „Ich bin keine Porträtfrau, weil ich nie diese Selbstinszenierung hatte. Ich habe bestochen durch das, was ich sagte.“ Sagt es und hadert mit der zweiten Seele in ihr, die doch auch Anerkennung will.

Die wilden Haare, im Ansatz grau, in der Länge dunkel, absichtlich so gefärbt sind sie, zwei Aureolen ums Gesicht – eine Mähne – und die Brille so tief, dass der Rand ihre Augen verschattet, angriffslustig und verdeckt, so sitzt sie auf einem der schweren dunklen Holzstühle im Zimmer ihrer Wohnung. Konfliktfähig sei sie, Auseinandersetzungen gehe sie nicht aus dem Weg, das sei ihre Stärke. „Sie bleibt standhaft, auch wenn sie alleine dem Gegenwind ausgesetzt ist“, sagt Bendkowski, die Mitstreiterin.

Auf dem Tisch stehen Kerzen und langstielige weiße Rosen. Sie liebe, sagt Goy, Blumen. Anders als Bilder. Da könne sie sich nie entscheiden, welche sie aufhängen soll, daher die kahlen Wände. Neben den Rosen liegen Bücher und eine Schale Mandarinen. Sie schält sie mit dem Messer – und sagt dabei, dass ihr nicht einleuchte, warum sie jetzt, in diesem Augenblick, nicht loslegen darf, kein Plädoyer halten darf für Geschlechtergerechtigkeit. Und für ein Verbot der Prostitution. Und für Vollzeitbetreuung, damit den Frauen der Rücken freigehalten wird. Ein Plädoyer, das dann in der Zeitung steht. Für die Quote streitet sie auch. „Die Quotenregelung ist angebracht. Fifty-fifty ist Demokratie.“ Und sie sagt außerdem, dass für sie klar ist, dass sie Einspruch erheben kann: „Nein, darüber reden wir nicht.“

Über Alice Schwarzer will sie nicht reden – „sie ist keine Abgrenzungsfigur“. Auch nicht über ihren Nachnamen – „Goy, das sind im Jüdischen die Nichtjuden.“ Nicht über die Liebe will sie sprechen – „ja sicher hatte ich Liebeskummer“, nicht über die Haltung ihrer Eltern den Nazis gegenüber, deren Motto, so sagt sie, „frag nicht“ war. Also frag nicht. Die Einspruchsmöglichkeiten, die sie im Gericht hat, will sie auch im Gespräch ausschöpfen, Goy ist halt eine Juristin. Und Feministin, genauer: „Wollsockenfeministin“. Sie deutet auf ihre Füße. „Ich laufe ja auch in Wollsocken rum.“ Auf sanften Pfoten. Und mit Überzeugung und zweiter Seele. Die hat diese Löwin aus bürgerlichem Milieu. Der Vater war Arzt. Seine drei Töchter wurden Juristinnen – recht haben, Recht bekommen. Sie ist die Jüngste. Eigentlich wollte sie Tänzerin werden. Journalistin auch.

Beschimpft

Feministinnen haben die Gesellschaft verändert, haben sie vorangebracht und werden dafür beschimpft. „Sich als Feministin heute zu erkennen zu geben, das ist wie ein Selbstbesudelungswort“, sagt Goy. Und da sitzen bei der Ehrung also all die Mitstreiterinnen, die meisten über sechzig, diese geballte Widerständigkeit, und keine wird auf Händen getragen. Aber Goy will nicht das halb leere, sie will das halb volle Glas. „Feministinnen sind überall. Jede Frau, für die es heute selbstverständlich ist, dass sie gleiche Rechte hat wie ein Mann, ist eine. Sie muss nicht mit der Trillerpfeife durch die Welt gehen.“

Traude Bührmann, Schriftstellerin und ebenfalls eine von denen, die durch Goys Auszeichnung mitgeehrt werden, die einmal von ihr verteidigt wurde, weil sie statt einer Briefmarke eine Marke der Roten Hilfe auf einen Brief an eine Freundin im Knast geschickt hatte, schenkt Goy auf dem Fest fünf Rosen und fünf Gedichte. Ausgesucht hat sie die Rosen wegen der Namen: Compassion – Leidenschaft, Symphonie und Grand Prix heißen drei Züchtungen. Eine vierte heißt Zornige Zora. Am wichtigsten aber ist Free Spirit. „Zielgerichtet / alte Gesetze ändern / im Free Spirit Flair. / Zielgerichtet / alte Gesetze ändern / im Free Spirit Flair“, sagt Bührmann und schenkt Goy die Blume.