misik ist genial dagegen
: Die Kunst heißt: Grenzen überschreiten, die diktiert werden

Irgendwo in meinem Bücherschrank steht noch das zerlesene Büchlein „Geschichte ist machbar“ mit Texten Rudi Dutschkes. Darin habe ich mir vor gefühlten hundert Jahren ein Marx-Zitat unterstrichen, das Dutschke offenbar sehr wichtig war. „Weit davon entfernt, den sogenannten Exzessen, den Exempeln der Volksrache an verhassten Individuen oder öffentlichen Gebäuden, an die sich nur gehässige Erinnerungen knüpfen, entgegenzutreten, muss man diese Exempel nicht nur dulden, sondern ihre Leitung selbst in die Hand nehmen.“ Hielt es gar auch Marx mit der „sinnlosen Gewalt“?

Es ist ja jetzt wieder viel vom Distanzieren von der Gewalt die Rede. Damit habe ich schon deshalb Probleme, weil die Haudraufs ja nicht brav heimtrotten, wenn man sich von ihnen distanziert. Es ist auch nur beschränkt erfolgsträchtig, zu behaupten, denen ginge es um nichts. Also: Klar, es gab Fortschritte in der Geschichte, denen mit Gewalt auf die Sprünge geholfen wurde. Aber Gewalt ist auch immer etwas sehr Unangenehmes, und zwar für ganz konkrete Menschen – etwa für den Polizisten, dem ein Stein auf den Kopf fällt. Der Verein der Freunde der Straßenschlacht würde an dieser Stelle gewiss auftrumpfend einwenden, was denn diese Gewalt sei im Vergleich mit der „täglichen Gewalt“ des Kapitalismus. Nur: Verhungert ein Kind in Afrika weniger, wenn man hierzulande Steinhagel loslässt?

Man kann natürlich sagen, es gibt halt Kollateralschäden im Klassenkampf. Nur sind Kollateralschäden höchstens dann zu rechtfertigen, wenn ihnen ein überwiegender Nutzen gegenübersteht. In innerlich pazifizierten Gesellschaften ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein hohes Gut. Dieses zu relativieren, in dem man alles „irgendwie“ Gewalt nennt, was einem nicht passt, öffnet der Rohheit Tür und Tor.

Dass man deswegen nicht gleich alle Befehle der Polizei befolgen muss, das haben gestern viele Tausende gezeigt, als sie bis zum Zaun von Heiligendamm vordrangen und diesen belagerten. Viel bunter und wenig schwarzer Block. Die Kunst der Stunde heißt: Grenzen überschreiten, die diktiert werden. Und dabei die Grenzen im Auge behalten, die nicht überschritten werden dürfen.