Frankreichs Linke zersplittert

Die bevorstehenden Parlamentswahlen werden für die Parteien links von den Sozialisten zu einem Desaster. Aber schon wird über Neugründungen nachgedacht

Viele Linke erwarten, dass Sozialisten und Zentrum eine neue Partei bilden Der Trotzkist Besancenot träumt von „neoliberalen Widerständen“

PARIS taz ■ Die französische Linke leckt wie gelähmt ihre Wunden von den Präsidentschaftswahlen im Mai. Und stellt sich bereits auf das nächste Desaster ein: Bei den beiden Durchgängen der Parlamentswahlen an diesem und dem folgenden Sonntag wird aller Voraussicht nach eine tsunamigroße blaue Welle über die Nationalversammlung schwappen. Sie wird der rechten UMP in den nächsten fünf Jahren eine noch größere absolute Mehrheit verschaffen und die linken Reste weitgehend wegspülen. Für die schon jetzt nur noch 21 kommunistischen Abgeordneten steht fest, dass sie nach dem 17. Juni keine eigene Fraktion mehr haben werden. Und die drei grünen Abgeordneten müssen ihr parlamentarisches Verschwinden fürchten.

Die Präsidentschaftswahlen brachten der französischen Linken eine Niederlage, wie es sie seit 1958 nicht mehr gab. Selbst ihr „stärkster“ Kandidat, der Postbote Olivier Besancenot von der nicht im Parlament vertretenen trotzkistischen LCR, schaffte nur 4,15 Prozent. Die grüne Kandidatin Dominique Voynet brachte es nur auf 1,57 Prozent, der Globalisierungskritiker José Bové auf ein erbärmliches halbes Prozent. Und die Kommunistin Marie-George Buffet, Chefin der einst größten französischen Partei, die in den Nachkriegsjahren mehr als ein Viertel der WählerInnenstimmen einholte, kam mit dramatischen 1,93 Prozent auf einen historischen Tiefstand. „Heute gibt es keine KP mehr“, konstatiert der auf linke Parteien spezialisierte Pariser Historiker Michel Dreyfus.

Zu dem Scherbenhaufen haben viele Faktoren geführt. Einerseits wollten Links-WählerInnen mit einer „nützlichen“ Stimmabgabe schon im ersten Durchgang verhindern, dass der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen wie 2002 erneut in die Stichwahl kommt. Andererseits haben die WählerInnen die vielfachen Spaltungen der linken Parteien nicht verstanden. Bei den Präsidentschaftswahlen traten sechs KandidatInnen links von der Sozialistischen Partei (PS) an: drei TrotzkistInnen, eine Grüne, eine Kommunistin, ein Globalisierungskritiker. Zusätzlich gab es unzählige weitere Spaltungslinien: So gab es KommunistInnen und TrotzkistInnen, die nicht ihre eigenen KandidatInnen unterstützten, sondern stattdessen Bové. Und es gab grüne Wahlaufrufe für fast alle linken KandidatInnen – inklusive von der PS. Um schließlich stellten sich einzelne Spitzengrüne auch hinter den rechtsliberalen Françis Bayrou.

Der Monat, der seit dem Triumph von Nicolas Sarkozy verstrichen ist, hat zu keiner Klärung der linken Verhältnisse gereicht. Sowohl die KPF, die wegen ihrer hohen Wahlkampfkosten jetzt auch finanziell vor einem Abgrund steht, als auch die LCR haben jeweils für fast alle Wahlkreise eigene KandidatInnen ins Rennen geschickt. Die GlobalisierungskritikerInnen, die sich seit den Präsidentschaftswahlen von ihrem eigenen Kandidaten Bové wegen dessen Unterstützung für Ségolène Royal (PS) abgewandt haben, kandidieren ihrerseits vielerorts. Und die Grünen waren nicht dazu in der Lage, ihre nationale Absprache mit der PS zu erneuern, wonach diese ihnen eine Reihe von Wahlkreisen konkurrenzlos überlässt.

In geduckter Position warten jetzt die meisten linken Parteien ab, dass der erste Sonntag der Parlamentswahlen vorübergeht. Fast alle wissen, dass sie nicht die geringste Chance haben, die 12,5-Prozent-Hürde zu überwinden, die nötig ist, um in den zweiten Durchgang am 17. Juni zu kommen. Parallel dazu denken fast alle über „Neugründungen“ und neue Allianzen nach. „Auf dem Trümmerfeld der Niederlage dieses Frühlings wird eine neue Hoffnung entstehen“, schreiben in Le Monde drei linke Männer von der trotzkistischen LCR und aus den Kollektiven, die noch im Frühling 2005 gemeinsam Kampagne gegen die EU-Verfassung gemacht haben. Wie viele andere Linke setzten die drei darauf, dass die sozialdemokratische PS sich nach den Parlamentswahlen noch weiter in die Mitte bewegen wird. Sie erwarten, dass PS und Zentrum – zusammen mit versprengten Grünen und KommunistInnen – eine Partei nach dem Vorbild von Romano Prodi in Italien gründen werden. Damit würde, so die optimistische Analyse einzelner, ein Platz für eine linke Neugründung frei. Der trotzkistische Briefträger Besancenot träumt bereits von den kommenden „neoliberalen Widerständen“ in Frankreich. Auf der anderen Seite stehen Nicolas Sarkozy und die UMP. Schon in diesem Sommer wollen sie das Streikrecht einschränken.

DOROTHEA HAHN