Missbrauchs-Prozess wird neu aufgerollt

Die Verhandlung gegen eine Elmshorner Hortleiterin und ihren Mann wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern wurde ausgesetzt, da die Kammer die psychologische Gutachterin wegen Befangenheit ablehnte

Die Grenze zwischen Realität und Phantasie ist bei Kindern oft fließend. Das stellt Gerichte, die über Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs zu entscheiden haben, vor eine besondere Herausforderung: Sie müssen herausfinden, ob Kinder, die einen Angeklagten beschuldigen, erlebt haben oder phantasieren. An diesem Punkt ist gestern vor dem Landgericht Itzehoe der Prozess gegen ein älteres Ehepaar geplatzt.

Das Landgericht hat das Verfahren gegen Uwe und Ingrid B. ausgesetzt, weil die psychologische Sachverständige in der Öffentlichkeit zur Glaubwürdigkeit der Kinder Stellung bezogen hatte, ehe sich alle Beteiligten in der Hauptverhandlung ein Bild davon machen konnten. Sie sei zu dem Schluß gekommen, sagte die Gutachterin in einem TV-Interview, dass die Kinder „sehr wahrscheinlich von eigenem Erleben berichtet“ hätten. Die Kammer lehnte die Gutachterin wegen Befangenheit ab. Die Anwälte hatten die Vorverurteilung ihrer Mandanten gerügt.

Acht Kinder sollen zwischen Frühjahr 2005 und August 2006 in einem Hort in Elmshorn missbraucht worden sein – vom Ehemann der Hortleiterin. Uwe B. war in der Einrichtung als Hausmeister beschäftigt. Rund zwanzig Mal, heißt es in der Anklage, habe er dort Kinder unsittlich berührt und sich in ihrem Beisein selbst befriedigt. Seine Frau soll davon gewusst haben – anstelle der Kinder habe sie den Gatten geschützt. Ihren Job sind die beiden los.

Schon zum Prozessauftakt Ende Mai hatte die Verteidigung gerügt, dass ihre Mandanten durch die Medien vorverurteilt worden seien. Zudem sei auf die Kinder im Vorfeld durch einen Opferschutzverein so intensiv eingewirkt worden, dass zwischen Realität und Fiktion nicht mehr zu unterscheiden sei. So hätten Mitarbeiter des Vereins die Kinder in Gruppen zu den Vorfällen befragt und nach jedem Gespräch neue Fälle angeprangert. „Es gab eine von massiver Einflussnahme bestimmte Nebenwelt der Ermittlungen“, formulierte Rechtsanwältin Gabriele Heinecke. Das ist ein brisanter Vorwurf – gegen den sich Missbrauchsorganisationen öfter wehren müssen.

In diesem Fall trifft der Vorwurf darüber hinaus auch die Sachverständige, die die Kinder psychologisch zu beurteilen hat. Sie habe in ihrem vorläufigen Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Kinder bereits von Dritten mehrfach vernommen worden waren. Und dann habe sie ihre Ergebnisse vor laufenden Fernsehkameras ausgebreitet, ehe das Gericht das erste Kind zu Gesicht bekommen hat. Das Gericht hielt der Sachverständigen zwar zugute, dass sie „aus unserer Sicht nicht befangen“ sei. Darauf komme es aber nicht an. „Es geht um die Sicht der Angeklagten.“ Die könnten den Eindruck gewonnen haben, die Gutachterin sei bereits auf ein Bild festgelegt.

Das bedeutet, dass der Prozess nun neu verhandelt werden muss. Das Gericht muss eine neue Gutachterin bestellen. Die muss die Kinder erneut vernehmen – eine große Belastung für die Kinder. Anderenfalls hätte es aber passieren können, dass ein Urteil, das auf dem Gutachten der Sachverständigen gefußt hätte, später von einer höheren Instanz aufgehoben worden wäre. Dann hätten die Kinder womöglich Jahre später erneut zu den Ereignissen im Hort befragt werden müssen. „Für die Kinder ist es so oder so schwierig“, sagte eine Mutter nach dem Prozess. „Natürlich: Sie müssen alles noch einmal erzählen. Aber jetzt ist das Ende zumindest absehbar.“ Elke Spanner