gottschalk sagt
: Hausverbot gilt erst ab morgen

CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit - alle zwei Wochen in der taz

Ich bin schon recht in Sommerlaune, ich glaube, ich werde heute noch ein Eis essen. Gestern ließ ich mir bei Bier und Grillfleisch auf dem Balkon Hedgefonds erklären, auch eine schöne Sommeraktivität, sollte ich vielleicht als „Ehrenfelder Würstchen-Gespräche“ in meine Künstlerbiographie einbauen. „Bei den Ehrenfelder Würstchen-Gesprächen traf sich der berühmte Kreis um Gottschalk: Regimekritiker, Künstler, Schriftsteller und Sonderpädagogen diskutierten über politische Themen oder redeten über andere Leute oder darüber, was man machen würde, wenn man eine Million Euro hätte.“

Nachdem ich die Sache mit den Hedgefonds hundertprozentig verstanden hatte, beschloss ich, meine eine Million Euro doch lieber aufs Postsparbuch zu legen, zumindest vorerst. Wir wandten uns einer aktuellen brisanten Diskussion zu, die kurzzeitig drohte, unseren Kreis in zwei Lager zu spalten.

Es ging um P.‘s „Vier-Schäumchen-Theorie“ vom Vorabend. Wenn der Wirt selber, so P.‘s Ansicht, einem nach dem Abhalten des Deckels quasi unaufgefordert noch Bier hinstelle, so seien diese als Schäumchen zu betrachten, oder, wenn sie voll sind, als „aufs Haus“, also für umsonst in jedem Fall, während der Wirt fand, bei acht Kölsch und drei Kurzen gälte dies nicht, es käme mit jedem Nicken ein neuer Kaufvertrag zustande. In einem heftigen Disput, es fielen Worte wie „Schnorrer“, „Kapitalistenschwein“, und „das waren niemals acht Kölsch“, schwor P., „diese schmierige Kaschemme“ nie wieder zu betreten und überhaupt „dem Gesundheitsamt mal einen guten Tipp“ geben zu wollen, während der Wirt ihm zeitgleich „Hausverbot bis in die siebte Generation“ erteilte.

Die Situation war vertrackt und mein Vorschlag, mit meiner Wandergitarre erstmal ein ausführliches Konzert für den Frieden zu geben, traf auf weit weniger Begeisterung, als ich erhofft hatte. Dabei wollte ich doch nur meiner Verantwortung als Künstler gerecht werden. „Eine andere Welt ist möglich!“ rief ich, doch für politische Argumente war niemand mehr zugänglich.

„Mein Wirtschaftssystem ist super“, wortspielte der Wirt, „global denken, im Lokal handeln“, gab ich wenig überzeugend zurück. Keiner lachte. Kurz überlegte ich, das Gespräch auch im eigenen Interesse auf das Thema „Schuldenerlass“ zu lenken, doch ein Blick auf die immer noch leicht geschwollene Halsschlagader des Wirtes verriet mir, dass der Zeitpunkt schlecht war. Überhaupt schienen die Gespräche gescheitert. P. saß schmollend auf der Eckbank, Anarcho-Werner krümelte konzentriert trockene Reste seines Tabaks in ein Blättchen, Lehrer-Paul malte ein Labyrinth auf einen Bierdeckel und Meyer mit E-Ypsilon putzte seine Brille.

„Das Hausverbot gilt aber erst ab morgen“, nölte P., „weil heute hat ‘Bei Rita‘ schon zu.“ Ein Argument der Spitzenklasse. Von Leuten wie P. können die Damen und Herren Politiker der G8 noch was lernen.

CHRISTIAN GOTTSCHALK