AUSGERUTSCHT
: Gedenken mit Linsen

Den Teller hatte ich in Südfrankreich mit Westgeld gekauft

Wirklich unter die Räder gekommen bin ich zum Glück noch nie. Ein paar Mal bin ich auf Hundekot ausgerutscht oder mit dem Fahrrad gestürzt, mehr nicht. Die meisten Unfälle, so heißt es ja immer so schön, würden im Haushalt passieren. Bingo.

Ich hatte den Linseneintopf vom Vortag aufgewärmt, der mir, in aller Bescheidenheit, ganz hervorragend gelungen war. Pünktlich zu Beginn der Simpsons, die ich zu den großen Errungenschaften des Mauerfalls zähle, wollte ich mit dem Essen auf dem Sofa sitzen. Voller Vorfreude auf die TV-Comicserie und die Hülsenfrüchte lief ich mit dem Essen ins Wohnzimmer. Kurz vor dem Sofa wurde mir dann im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen.

Ich rutschte volle Pulle auf dem Teppich vor dem Sofa aus, der Teller flog in hohem Bogen aus meiner Hand und ich setzte mich mit Karacho auf den Hintern. Mein erster Gedanke galt aber nicht einem eventuellen Steißbeinbruch, sondern dem Teller. Den hatte ich, zusammen mit fünf weiteren Tellern, im ersten Sommer nach dem Mauerfall in Südfrankreich in einem Antiquitätengeschäft für gar nicht mal viel Westgeld gekauft. Ich wäre untröstlich gewesen, wenn einer der blau-gelb-weißen Steingutteller kaputt gegangen wäre. Zum Glück lag er unversehrt neben mir auf dem Boden.

Ich blieb sitzen und schaute weiter gebannt auf den Fernseher, wo Bart Simpson sich in einer viel unbequemeren Situation als ich befand. Er saß in einem Riesenkessel mit heißem Hot-Dog-Wasser. In einer Werbepause betrachtete ich das Linsen-Schlachtfeld um mich herum. Auf dem Sofa, meiner Kleidung, dem Holzboden, dem Teppich: Linsen, Kassler- und Kartoffelstückchen, Lorbeerblätter, Pimentkörner. Ich beneidete Bart Simpson um den Wasserkessel, in dem er hockte, und hatte sofort Appetit auf einen Hot Dog.

BARBARA BOLLWAHN