Wolkig: die Klimaeinigung

Gemischte Reaktionen auf den angeblichen „Riesenerfolg“ zum Klimaschutz. Umweltschützer sind kritisch, Regierungsberater sagen: Mehr war nicht drin. Vor allem USA und Japan stellten sich quer

AUS HEILIGENDAMM HANNA GERSMANN

So lautet eine Lesart der G-8-Klimaeinigung: „Der Kompromiss ist gut“, meint Hans Joachim Schellnhuber, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimaberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Mehr war nicht rauszuholen.“ Tobias Münchmeyer von Greenpeace hält den Kompromiss für „faul“. Das ist die andere Lesart.

Hauptgrund für die unterschiedliche Einschätzung: Absatz 49 der Abschlusserklärung von Heiligendamm. Darin findet sich der umständliche Satz: „Bei der Festlegung eines globalen Zieles für Emissionsreduktionen haben wir heute unter Beteiligung aller bedeutenden Emissionsländer vereinbart, dass wir die Entscheidungen der Europäischen Union, Kanada und Japans, die zumindest eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2050 beinhalten, ernsthaft prüfen werden.“ Was heißt das genau? Alle G-8-Staaten „ziehen in Betracht“, wie Merkel es nennt, in gut 40 Jahren nur noch die Hälfte der Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen? Doch sechs von ihnen – Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien sowie Japan und Kanada – gehen weiter: Sie binden sich an das Ziel, sagt Schellnhuber. „Das hat es bei einer G-8-Erklärung noch nie gegeben!“

Doch dem Passus fehlt etwas Entscheidendes: das Vergleichsjahr für die Emissionswerte. Die Wissenselite schreibt in solche Klimaformeln üblicherweise das Jahr 1990. Damals pusteten Autos, Industrie und Haushalte weltweit noch deutlich weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre als heute. Im Klartext kann sich ein Land nun aber zum Beispiel auf das Jahr 2005 beziehen. Will es sich mit einer Halbierung seiner Sünden rühmen, muss es dann weniger einsparen.

Merkels Mitarbeiter schrieben im Februar in den ersten Entwurf des Schlussdokuments die Marke 1990. Doch Japan soll sich in Heiligendamm strikt gewehrt haben. Merkel und ihre Befürworter haben nachgegeben.

Umweltschützer wie Münchmeyer hatten befürchtet, dass Merkel auch in einer anderen Frage nachgeben könnte – bei der Atomkraft. Präsident Bush drängte seine Kollegen, den Satz zu unterschreiben: „Wir bestärken internationale Initiativen, die friedliche und kohlenstofffreie Nuklearenergie weiter zu entwickeln.“ Seine Unterhändler hatten diese Formulierung schon im April vorgeschlagen. Im Schlussdokument fehlt sie. Stattdessen sagen „diejenigen von uns, die Pläne für die Nutzung von Kernenergie haben“, dass sie davon überzeugt sind.

Klimaberater Schellnhuber hat an mehreren Treffen der Unterhändler teilgenommen. Er erzählt: „Die US-Delegation wollte sich von Angela Merkel und der EU nicht den eigenen Weg vorschreiben lassen.“ Auch den Weltklimareport der UN – in ihm wird vor Dürren, Stürmen und Meeresanstieg gewarnt – habe sie in Zweifel gezogen. US-Präsident Bush hat immerhin eins zugesichert: Er will sich an den Klimaschutzverhandlungen beteiligen, zu denen die UNO Ende Dezember alle Staaten nach Bali eingeladen hat. Das finden alle gut. Die Kritik der Umweltschützer kann Schellnhuber auch verstehen. Er sagt: „Natürlich hätte man sich mehr gewünscht.“