Straßen blockieren bei Freunden

Die Protestler haben sich professionell und diszipliniert organisiert – und dabei auch die Sympathien vieler Anwohner gewonnen

Die Blockierer von Börgerende holen ihre Gitarren raus. Musik kann nie schaden, wenn selbst die wachhabenden Polizisten entspannt gähnen und der Wasserwerfer abgezogen ist. Die Sonne knallt auf die schmale Asphaltstraße, die durch das mecklenburgische Dorf nach Heiligendamm führt. Seit eineinhalb Tagen ist hier kein Durchkommen, die Straße ist dicht. Blockiert von hunderten bunt gekleideter, verschwitzter Menschen im Schneidersitz. Christa Schneider geht in ihr Haus und holt Wasser. „Das geht doch nicht“, sagt die 51-Jährige, „dass die Kinder verdursten.“

Die Kinder. Sie sagt das wirklich so. Christa Schneider, die Anwohnerin, die mit G-8-Protesten nie etwas zu tun haben wollte, hat die Blockierer ins Herz geschlossen. „Natürlich waren wir skeptisch, wer da kommt. Aber“, sagt sie, „das sind so nette Leute, die sammeln sogar ihren Müll auf.“ Wenn man sich erst mal kennenlernt, schwinden die Vorurteile.

In Reddelich schicken die Nachbarn des G-8-Camps ihre Kinder gern auf den Abenteuerspielplatz, den die Globalisierungskritiker, pardon, „unsere Leute“, dort gezimmert haben.

Viele Demonstranten haben die Sympathien der Einwohner gewonnen, weil sie mit ihnen reden über ihre Vision einer gerechteren Welt. Menschen, die im normalen Leben wohl nichts miteinander zu tun hätten, tauschen sich aus. Nach dem Schock von Rostock hätte das kaum jemand für möglich gehalten.

Da ist der Bauer aus Rethwisch, der traurig auf sein niedergetrampeltes Feld blickt und trotzdem tapfer sagt: „Ihr könnt ja auch nichts dafür. Wo sollt ihr denn herlaufen, wenn die Polizei euch die Straßen verbietet?“ In Börgerende zupft ein Alter einen jungen Protestler am T-Shirt. „Da ist ja Che Guevara drauf. Wieso trägst du so was, der war Kommunist, Kommunisten sind keine guten Menschen.“ – „Ach“, sagt der Junge „Der Che war vor allem Idealist.“ – „Wirklich?“, staunt der Alte. „Erzähl mal.“

Am Blockadepunkt „Galopprennbahn“ liefert abends ein Kastenwagen „VoKü“, spendenfinanzierte Volxküche für alle. Linsensuppe und Couscous auf Emailletellern, Soja-Latte aus Ikea-Bechern, zubereitet von der Initiative Rampenplan, die schon die Castor-Proteste im Wendland zuverlässig versorgte. Das dreckige Geschirr wird in Einkaufswagen abgefahren. Wer krank wird, kann sich kostenlos von Joachim Weisbrich behandeln lassen, dem „Camp-Doktor“: „40 bis 50 Leute kommen täglich zu mir, nicht bloß Demoverletzte“, erzählt er. Manche nutzten die Gelegenheit, sich auch ohne Krankenversicherung und Praxisgebühr mal ordentlich durchchecken zu lassen.

Diese Perfektion und Professionalität beeindrucken. Über SMS-Verteiler informiert die Blockadeleitung die Presse im Zweistundentakt, wo gerade welche Straße dicht gemacht wird. Die Blockierer sind stets in so genannten Bezugsgruppen mit fünf bis zehn Personen unterwegs. Der Vorteil: Jeder achtet auf jeden, man fühlt sich für einander verantwortlich, es gibt keine Alleingänge.

An der „Galopprennbahn“ gilt es an diesem Abend, eine Entscheidung zu treffen. Sollen die beiden Blockadegruppen auf der Straße angesichts sinkender Teilnehmerzahlen nachts näher zusammenrücken? Flugs wird ein Plenum unter nächtlichem Himmel einberufen. Die Bezugsgruppen entsenden ihre Delegierten. Basisdemokratie pur.

Über Megafon ergeht die Entscheidung: „Die hintere läuft auf die vordere Blockade zu. Wir bilden Ketten oder stehen dicht beieinander. Sobald es Provokationen durch die Bullen gibt, setzen wir uns hin.“ Binnen Minuten stehen mehr als 1.000 Leute abmarschbereit. Besser würde das die Polizei auch nicht hinkriegen. HEIKE HAARHOFF