Das Bündnis steht noch

Die Proteste gegen den G-8-Gipfel waren ein Erfolg für die Globalisierungskritiker

von FELIX LEE

Heiligendamm war kein Seattle. Und von einer neuen Aufbruchstimmung wie beim G-8-Protest 2001 in Genua kann auch nicht die Rede sein. Und dennoch war der Protest aus Sicht vieler Demonstranten ein Erfolg. „Diese Woche in Rostock hat die politische Welt in Deutschland verändert“, sagte Werner Rätz, der zum Koordinationskreis des globalisierungskritischen Netzwerks Attac gehört, am Freitag zum Abschluss. Diese Einschätzung ist nachvollziehbar, und die mitklingende Erleichterung auch. Zwei Jahre Vorbereitung, monatelanges zähes Ringen um einen vielfältigen Protest unter einem gemeinsamen Dach und dann die Krawalle am Samstag gleich zum Auftakt: Heiligendamm war vor allem eine Bewährungsprobe. Und das breit gefächerte Protestbündnis hat sie bestanden – allein schon, weil es bis zum Schluss gehalten hat.

Denn spätestens beim G-8-Gipfel vor zwei Jahren im schottischen Gleneagles hatte der globalisierungskritischen Bewegung in Europa das Ende gedroht. Die gemäßigten Globalisierungskritiker ließen sich von vagen Zusagen von Premierminister Tony Blair für eine Entschuldungsinitiative einlullen, die übrigens bis heute nicht eingehalten wurden. Der radikale Teil versuchte, die Zufahrtsstraßen zum Tagungsort zu blockieren. Die einzige, die die Aktionen mitbekam, war die britische Polizei.

Das war in Heiligendamm anders. Die Protestveranstalter setzten von Beginn an auf gemeinsame Aktionen, Demonstrationen und einen gemeinsamen Alternativkongress. Sowohl Camps als auch sämtliche Blockadeaktionen blieben bis zum Schluss gemischt und brachten die Vielfalt des Widerstands zum Ausdruck.

Dazu gehört explizit auch der Umgang mit dem viel geschmähten sogenannten schwarzen Block. Mit den Krawallen in Rostock gleich auf der Auftaktdemonstration hatte kein Beteiligter des Protestbündnisses gerechnet. Und dann sorgten ausgerechnet die Vertreter der linksradikalen Interventionistischen Linken dafür, dass die Krawalle vom späten Samstagnachmittag im Verhältnis zur gesamten Protestwoche nur eine Randerscheinung blieben. Ihnen gelang es, mäßigend auf die Demonstranten einzuwirken.

In der Basis war allerdings kaum eine kritische Auseinandersetzung mit den Ereignissen vom Samstag zu erkennen. Die Gefährdung von Menschenleben hat mit der Aktionsform des schwarzen Blocks nichts mehr zu tun. Wer zwei ungeschützte Polizisten mit Stöcken malträtiert, faustdicke Pflastersteine auf sie wirft und damit bewusst Verletzungen oder Schlimmeres in Kauf nimmt, verlässt den Konsens, den Autonome und andere Linksradikale selbst abgesteckt haben: keine Gefährdung von Menschenleben.

Es ist nicht leicht zu rekonstruieren, welche Seite am Samstag angefangen hat: gewaltbereite Autonome oder gewaltbereite Polizisten. Schuldzuweisungen machen auch wenig Sinn. Vielleicht waren die ersten Steinwürfe auf eine Sparkassenfiliale gar nicht der Startschuss, sondern bereits der martialische Auftritt der Polizei eine Woche zuvor bei der Demonstration gegen den Asem-Gipfel in Hamburg oder auch der hysterische Sicherheitswahn gegenüber vermeintlichen G-8-Gegnern der Sicherheitsbehörden in den Wochen zuvor?

Tatsächlich waren die Krawalle aber auch gar nicht das Wichtigste an Heiligendamm. Wer die ganze Woche vor Ort war, weiß, dass der Protest viel mehr von den Blockaden geprägt war – für die sich dann auch die Bevölkerung interessierte. Tausende von Aktivisten harrten 48 Stunden und länger auf staubigen Asphaltstraßen aus. Damit konnte die Bewegung den Gipfel zwar nicht verhindern – sie hat ihn aber zumindest zeitweilig gestört und ihren Protest nah an die Staatschefs herangetragen.

Aus einer globalen Sicht mag diese Bilanz dürftig klingen. Was hilft sie den Menschen in Afrika oder Südostasien? Es sollte nicht unterschätzt werden, dass Millionen hungernde Menschen im Süden ansonsten bei den Staatschefs kaum Gehör finden. Der Protest ihrer eigenen Wählerschaft bei einem Medienspektakel wie dem Gipfel schon.

Trotzdem: Was vor 32 Jahren als Kamingespräch begann, wird von der Mehrheit der Bevölkerung inzwischen abgelehnt. Dass acht Staatschefs so entscheidend über das Weltgeschehen bestimmen dürfen, auch. Nie wieder Rostock, hatte die taz nach den Krawallen vom Samstag getitelt. Das Zeichen, dass fünf Tage später von Rostock ausgeht, lautet: Vielleicht war es der letzte G-8-Gipfel. Zumindest in Deutschland.